Progressive Muskelrelaxation

Die progressive Muskelrelaxation (kurz PMR) ist ein Entspannungsverfahren. Sie wird auch progressive Muskelentspannung (PME), progressive Relaxation (PR) oder Tiefenmuskelentspannung genannt. Dabei werden nacheinander bewusst verschiedene Muskelgruppen sehr fest angespannt; anschließend wird die Spannung wieder gelöst, während die ganze Zeit über aufmerksam die Reaktionen im Körper beobachtet werden.

Inhaltsverzeichnis

  • Übungshaltung
  • Das Grundprinzip von Anspannung und Entspannung

Die PMR kommt sowohl bei körperlichen als auch bei psychischen Beschwerden zum Einsatz. Sie kann zum Beispiel bei chronischen Schmerzen, Schlafstörungen oder einer Angststörung helfen.

Diese Entspannungsmethode ist aufgrund vieler Studien, die ihre Wirkung belegen, wissenschaftlich anerkannt. Daher übernehmen Krankenkassen in der Regel die Kosten für einen Kurs zum Erlernen der progressiven Muskelrelaxation.

Hintergrund

Das Verfahren der progressiven Muskelrelaxation wurde 1929 von dem amerikanischen Arzt Edmund Jacobson (1888 – 1983) entwickelt, nachdem er rund zwanzig Jahre lang an der Harvard Universität auf diesem Themengebiet geforscht hatte. Jacobson stellte fest, dass Stress, Angst und Nervosität mit einem erhöhten Spannungszustand der Muskulatur einhergehen. Dabei verkürzen sich die Muskelfasern, was zu Verspannungen führen kann. So beobachtete er etwa, dass Patienten, die sehr nervös oder gestresst waren, unbewusst ihre Muskeln anspannten. Häufig wiederkehrende Muskelanspannungen dieser Art führten beispielsweise zu Kopfschmerzen und Migräne. Edmund Jacobson folgerte daraus, dass dieser Zusammenhang auch umgekehrt besteht: Die bewusste Entspannung von Muskeln führt zu einer physischen und psychischen Entspannung. Seine Forschungsergebnisse bestätigten diese Theorie.

In den Anfängen der PMR war diese Technik äußerst zeitaufwendig und schwierig zu erlernen, da sie aus unzähligen Anweisungen bestand. Man benötigte damals mehr als fünfzig Übungssitzungen, um sie sicher zu beherrschen. Über die Jahre hinweg wurde die Methode jedoch weiterentwickelt und vereinfacht. Mittlerweile kann die progressive Muskelrelaxation von nahezu jedermann in nur wenigen Stunden erlernt werden. Seit 1987 ist diese Entspannungstechnik von der gesetzlichen Krankenkasse zugelassen und ein fester Bestandteil in der begleitenden Behandlung vieler psychosomatischer Störungen.

Wirkung

Edmund Jacobson fand heraus, dass die bewusste Entspannung von Muskeln auf das zentrale Nervensystem wirkt. Dessen Aktivität wird dadurch herabgesetzt. So sinkt zum Beispiel der Blutdruck, das Herz schlägt langsamer und die Atmung beruhigt sich. Durch die regelmäßige Übung der progressiven Muskelrelaxation können auch körperliche Symptome von Stress wie übermäßiges Schwitzen oder verstärkte Darmtätigkeit gemildert werden. Man fühlt sich durch die Übungen weniger nervös, erhöhte Reizbarkeit lässt nach. In akuten Stresssituationen verspürt man weniger Angst und fühlt sich bei regelmäßiger Anwendung im Alltag insgesamt entspannter und ausgeglichener. Selbst chronische Schlafstörungen und chronische Schmerzen können mit Hilfe der progressiven Muskelrelaxation gelindert werden oder sogar vollständig verschwinden.

Über die positiven Auswirkungen der PMR existieren mittlerweile viele klinische Studien. So wird die progressive Muskelentspannung von den meisten gesetzlichen Krankenkassen als Behandlungs- oder Präventionsmaßnahme angeboten. Ebenso wird diese Entspannungsmethode in Kliniken und Praxen zur Begleitbehandlung vieler psychischer als auch physischer Erkrankungen mit Erfolg eingesetzt.

Durchführung

Die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson besteht aus fünf Übungsphasen: Hinspüren, Anspannen, Spannung halten, Loslassen und Nachspüren.

Der oder die Übende beginnt zuerst damit, sich auf eine bestimmte Muskelgruppe zu konzentrieren, was als „Hinspüren“ bezeichnet wird. Dies fällt anfangs nicht jedem leicht. Doch je öfter trainiert wird, desto besser funktioniert diese Übung. Beim Hinspüren geht es darum, genau zu beobachten, was in dem jeweiligen Körperbereich geschieht und welche Empfindungen dort wahrnehmbar sind. Dies können zum Beispiel Kribbeln, Schwere oder Wärme sein.

Anschließend wird die gewählte Muskelgruppe angespannt. Dabei muss beachtet werden, dass die Anspannung nicht zu heftig, jedoch gut spürbar ist. Dieser Zustand wird fünf bis zehn Sekunden gehalten, wobei sich der oder die Übende die ganze Zeit über auf die angespannte Muskelpartie konzentriert. Nach dieser Anspannungszeit folgt die Entspannung. Die Aufmerksamkeit ruht währenddessen immer noch auf dem gerade bearbeiteten Muskelbereich.

Begonnen wird mit den Muskeln der rechten Hand. Dann arbeitet man sich über Arme, Gesicht, Nacken und Rücken vor bis zum Bauch. Abschließend folgen die Muskelgruppen der Beine und Füße.

PMR arbeitet nicht mit Selbstsuggestion, wie zum Beispiel Autogenes Training, sondern verlangt vom Anwender oder der Anwenderin ein bewusstes Wahrnehmen von Körperempfindungen; es ähnelt deshalb in Teilen dem Achtsamkeitstraining (Mindfulness-Based Stress Reduction, kurz MBSR).

Der Erfolg der PMR wächst mit häufigen Übungseinheiten, die am besten täglich absolviert werden sollten. Die Muskelentspannung kann als Kurzentspannung mit nur wenigen Muskelgruppen oder auch mit allen Muskelbereichen in einer längeren Übungsphase durchgeführt werden. Anfangs sollte man mehr Zeit dafür einplanen, später genügen mehrmals täglich wenige Minuten, um mit der Zeit den Entspannungseffekt gezielt und bewusst zu erreichen. Dabei sollte man sich möglichst nicht unter Druck setzen, sondern sich etwas Zeit geben, um diese neue Methode zu erlernen. Seien Sie nicht enttäuscht, wenn sich nicht sofort Entspannung einstellt, sondern lassen Sie es langsam angehen. Ist die Methode erst einmal erlernt und gut eingeübt, soll es möglich sein, in wenigen Sekunden vorhandene Spannungen im Körper zu erspüren und diese allein durch das erlernte Gefühl der Entspannung aufzulösen. Dafür ist es dann nicht mehr nötig, die entsprechenden Muskeln anzuspannen.

Übungshaltung

Die progressive Muskelrelaxation kann sowohl im Liegen oder Sitzen als auch im Stehen ausgeführt werden. So ist sie nahezu jederzeit im Alltag einsetzbar. Anfangs wird meist im Liegen trainiert, da dies die Position ist, in der die meisten Menschen am schnellsten eine tiefe Entspannung erreichen. Ist die Abfolge der Entspannungstechnik erst einmal verinnerlicht, kann sie auch im Sitzen oder Stehen durchgeführt werden.

Das Grundprinzip von Anspannung und Entspannung

Bei der Tiefenmuskelentspannung geht es darum, achtsam in den Körper hineinzuspüren, ganz bewusst Anspannung und Entspannung verschiedener Muskelgruppen und damit einhergehende Empfindungen wie etwa Wärme, Schwere oder Kribbeln wahrzunehmen. Der Patient oder die Patientin lernt, Verspannungen frühzeitig wahrzunehmen und aktiv etwas dagegen zu tun.

Der oder die Übende nimmt dazu eine bequeme Körperhaltung ein, im Sitzen, Liegen oder Stehen, ganz nach Belieben und Übungsfortschritt. Zum Beispiel wird mit der rechten Faust begonnen. Diese wird für circa fünf bis zehn Sekunden geballt. Die Anspannung sollte ganz bewusst erlebt werden, indem man sich vollständig auf die Muskelpartie konzentriert. Dabei wird ein gesundes „Mittelmaß“ erlernt. Das heißt, dass es zu keiner Verkrampfung oder zu starker Anstrengung kommen darf. Nach der Anspannung wird diese wieder aufgelöst. Entspannung tritt ein. Auch diese sollte bewusst und konzentriert erlebt werden.

Auf diese Art und Weise werden nacheinander die verschiedensten Körperteile gezielt in Anspannung und Entspannung versetzt. Die progressive Muskelrelaxation kann für den schnellen kurzen Entspannungsvorgang, aber auch für das An- und Entspannen von bis zu achtzehn Muskelgruppen angewandt werden, je nach Situation und vorhandenem Zeitrahmen.

Anwendungsgebiete

Die progressive Muskelrelaxation wird bei verschiedensten Erkrankungen und Beschwerden eingesetzt. So hat sie sich bewährt bei Nackenverspannungen, Verspannungen im Schulterbereich, Rückenschmerzen sowie bei Kopfschmerzen und Migräne. Sie dient zur begleitenden Behandlung zum Beispiel von Ohrensausen (Tinnitus), Hörsturz, Reizdarm und Reizmagen, Hypertonie (Bluthochdruck) und hormonellen Störungen. Auch können mit der progressiven Muskelrelaxation gute Erfolge bei Stress, Angst, Nervosität, innerer Unruhe, nicht organisch bedingtem Herzrasen und Ähnlichem erzielt werden.

PMR wird häufig bei Erkrankungen mit einer ausgeprägten psychischen Komponente eingesetzt, sogar bei ernsten psychischen Erkrankungen, wie zum Beispiel einer Psychose. Hier ist jedoch die Begleitung durch einen erfahrenen Therapeuten oder eine erfahrene Therapeutin zwingend erforderlich.

Die Muskelentspannungstechnik erhöht die Leistungsfähigkeit und hat sich für viele Menschen bei Konzentrationsstörungen und Prüfungsangst bewährt. Gerade in der heutigen Zeit, in der die Schülerinnen und Schüler teilweise schon in der Grundschule einem enormen Leistungsdruck standhalten müssen, ist der Einsatz der progressiven Muskelrelaxation ein hilfreiches Werkzeug für den täglichen Gebrauch. Da sie schnell und einfach zu erlernen ist, können auch Kinder bereits gut von dieser Entspannungsmethode profitieren. Nach längerem Üben kann sie sogar im lauten Klassenzimmer erfolgreich angewendet werden, zum Beispiel unmittelbar vor einem Test.

Wann sollte die progressive Muskelentspannung nicht angewendet werden?

In akuten Erkrankungsstadien ist unter Umständen von der PMR abzusehen. Dies gilt zum Beispiel für einen bereits einsetzenden Migräneanfall. Wenn Sie unter niedrigem Blutdruck (Hypotonie) leiden, sollten Sie vor der Anwendung der progressiven Muskelentspannung mit Ihrem Hausarzt oder Ihrer Hausärztin Rücksprache halten, da diese Entspannungsmethode den Blutdruck senkt. Auch bei Muskelkrankheiten sollten Sie im Vorfeld Ihren Arzt oder Ihre Ärztin befragen, ob die PMR für Sie geeignet ist. (sw, kh)

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