Ihren Alltag zu bewältigen, ist für Christina Applegate eine Herausforderung. Die Schauspielerin leidet an Multipler Sklerose, kurz MS. Welche Warnzeichen Jahre vor der Diagnose auf die Krankheit hindeuten können, lesen Sie hier.
„Mit multipler Sklerose gibt es nie einen guten Tag.“ Mit diesen Worten beschreibt Christina Applegate ihre schwere Krankheit. Die Schauspielerin sprach jetzt mit der „Vanity Fair“ darüber, wie sie ihren Alltag erlebt. Manchmal fragten sie die Menschen, warum sie nicht öfter dusche. Die Antwort darauf: „Naja, weil ich Angst habe, duschen zu gehen. Du kannst hinfallen. Du kannst ausrutschen. Du kannst zusammensacken.“
Diagnose im Jahr 2021
Applegate dreht gerade die dritte und letzte Staffel ihrer Netflix-Serie „Dead to me“. Da kommt die niederschmetternde Diagnose: Multiple Sklerose, kurz MS – eine Autoimmunkrankheit, welche die Kommunikation zwischen Gehirn und Körper stört. Das war im Sommer 2021.
Mit ihrem Schicksal ist Applegate, die viele als verpeilte Blondine Kelly Bundy aus der Kultserie „Eine schrecklich nette Familie“ kennen, nicht allein. Schauspielkollegin Selma Blair nennt sie ihre „MS-Schwester“. Auch Blair ist 2022 mit ihrer Dokumentation und Autobiografie an die Öffentlichkeit gegangen und erzählt darin unter anderem vom Leben mit Multipler Sklerose. In Deutschland geben etwa die SPD-Politikerinnen Malu Dreyer und Katrin Gensecke der Erkrankung ein Gesicht. Sie trifft hierzulande jedes Jahr mehr als 15.000 Menschen.
Warum MS die Krankheit der 1000 Gesichter ist
Die Beispiele verdeutlichen eines bereits: MS trifft Frauen doppelt so häufig wie Männer. Gleichzeitig gilt das Leiden als Krankheit mit 1000 Gesichtern. Denn wie stark die Beschwerden ausgeprägt sind, welche Symptome auftreten und wie sehr sie den Alltag beeinträchtigen, ist sehr individuell.
„MS ist jeden Tag anders“, beschreibt die Landtagsabgeordnete Gensecke es. Mal braucht sie mehr Unterstützung, mal weniger. Eine Begleitperson kann ihr etwa beim Autofahren oder bei Terminen helfen.
Applegate hat ebenfalls Begleiter für ihr Leben mit Multipler Sklerose. Sie postete im Oktober 2022 auf Twitter ein Foto mit mehreren Spazierstöcken. „Gehstöcke sind jetzt Teil meiner neuen Normalität“, kommentierte sie. Sie habe demnächst eine sehr wichtige Zeremonie, schrieb die Künstlerin weiter. „Meine erste Auszeit, seit bei mir MS diagnostiziert wurde.“
Symptome: Wie sich Multiple Sklerose äußert
Erst rückblickend erkennt Applegate die Signale, die ihr Körper schon vor der Diagnose sandte. Ihre Erkrankung zeigte sich beispielsweise daran, dass sie in Tanzszenen aus dem Gleichgewicht geriet oder dass ihr Tennisspiel ins Stocken kam. Über die Jahre spürte die Schauspielerin immer häufiger und heftiger ein Kribbeln und Taubheitsgefühle in ihren Extremitäten. „ Ich wünschte, ich hätte darauf geachtet “, sagt Applegate heute. „Aber woher sollte ich das wissen?“
Ganz typisch ist, dass die Erkrankung oft schubweise beginnt. Wie die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) ausführt, treten zu Beginn der MS-Erkrankung häufig motorische Störungen auf:
- Lähmungen
- Sehstörungen mit Verschwommen- oder Nebelsehen als Ausdruck einer Entzündung der Sehnerven
- Gefühlsstörungen der Haut („Sensibilitäts-Störungen“), meist in Form von Kribbeln, (schmerzhaften) Missempfindungen oder einem Taubheitsgefühl
- Unsicherheit beim Gehen oder beim Greifen
- Doppelbilder
- Blasenstörungen
- „verwaschenes“ Sprechen
„Im Verlauf sind die Lähmungserscheinungen häufig mit einem Steifigkeitsgefühl (‚wie Blei an den Beinen‘) verbunden“, schreibt die DMSG. „Dies wird Spastik genannt.“ Sie betreffe vor allem die Beine. Blasenstörungen könnten sich in Form von häufigem, nicht gut kontrollierbarem Harndrang bis hin zur Inkontinenz zeigen.
Zusätzlich können Beschwerden aufkommen, die oft nicht greifbar sind. Dazu gehören:
- abnorme, vorzeitige Erschöpfbarkeit (die sogenannte Fatigue),
- kognitive Störungen,
- Einschränkungen bei Aufmerksamkeit,
- Merkfähigkeit und Konzentration,
- depressive Verstimmungen und Depressionen,
- Schmerzen,
- Schwindel sowie
- sexuelle Funktionsstörungen.
MS veränderte Christina Applegates Körper ebenfalls. „Das ist das erste Mal, dass mich jemand so sehen wird, wie ich bin“, erzählte die Schauspielerin in einem älteren US-Interview von den Folgen ihrer Netflix-Serie. „ Ich habe 18 Kilo zugenommen, kann nicht mehr ohne Stock laufen. Ich möchte, dass die Leute wissen, dass mir das alles bewusst ist.“
Diagnose: Mittels neurologischer Untersuchungen lässt sich MS abgrenzen
Aufgrund der zahlreichen, häufig unspezifischen Symptome dauert es bis zur Diagnose oft Jahre. Es existiert auch kein eindeutiger Marker in Blut oder Nervenwasser oder auf Bildern des Magnetresonanztomographen (MRT). Insofern gleicht es meist einer Spurensuche, bei der viele andere Krankheiten ausgeschlossen werden. Auftretende Schübe, ihre Abstände und Ausprägungen sowie Schädigungen, die im Hirn-MRT zu sehen sind, liefern Indizien.
Bei Blair wurde die Erkrankung des Nervensystems 2018 diagnostiziert, nachdem sie jahrzehntelang immer wieder unter Schmerzen gelitten hatte. „Ich war überwältigt von Erleichterung“, schreibt die Schauspielerin über die Diagnose. „Jetzt hatte ich einen Behandlungsplan, dem ich folgen konnte. Ich hatte Information. Einen Namen.“
Wer also die beschriebenen Symptome bemerkt, sollte sich neurologisch durchecken lassen. Denn wenn MS früh diagnostiziert und schnell behandelt wird, wirkt sich das positiv aus. Weitere Schübe können ausgebremst werden, sodass sie nicht mehr so schwer und so oft auftreten. Ebenso lässt sich die Verschlechterung des Gesundheitszustands verlangsamen.
Formen der Multiplen Sklerose
Fachleute teilen die Multiple Sklerose in verschiedene Unterformen ein. Sie unterscheiden sich in ihrem Verlauf und in der Ausprägung, was unter anderem die Geschichten der prominenten Beispiele zeigen.
Die MS wird grundsätzlich in drei Verlaufsformen eingeteilt:
- schubförmig wiederkehrende/remittierende Verlaufsform (englisch: relapsing remitting multiple sclerosis, RRMS)
- sekundär progrediente Form (englisch: secondary progressive multiple sclerosis, SPMS)
- primär progrediente Form (englisch: primary progressive multiple sclerosis, PPMS)
Die meisten Betroffenen erkranken zunächst an der schubförmigen Verlaufsform , schreiben die Kliniken Köln auf ihrer Internetseite . Und erläutern weiter: „Als Schub wird hierbei das Auftreten eines klinischen Symptoms gewertet, das länger als 24 Stunden anhält. Zwischen den Schüben kann der Patient oft völlig beschwerdefrei leben.“ Der erste Schub wird als klinisch isoliertes Syndrom (KIS) bezeichnet. Über die Jahre geht diese Form der MS dann langsam in eine (sekundär) progrediente Verlaufsform über.
Erste Schübe treten üblicherweise im frühen Erwachsenenalter (20 bis 30 Jahre) auf. In seltenen Fällen können aber auch Kinder oder Patienten über 60 Jahre einen ersten Schub erleiden, heißt es.
Die Neurologie-Abteilung grenzt hiervon ab: „Die primär chronische progrediente Form zeigt keine schubförmige Verschlechterung, sondern von Anfang an eine langsame Ausbreitung von verschiedenen Symptomen. Sie tritt in den meisten Fällen erst jenseits des 40. Lebensjahrs und wesentlich seltener (10 bis 15 Prozent der Fälle) auf.
Therapie: Medikamente können MS lindern
Moderne Medikamente können den Verlauf der Krankheit positiv beeinflussen. „Eine Behandlung mit immunmodulatorischen Medikamenten kann die Häufigkeit und Schwere von Schüben mindern und das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen“, schreibt die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft. Die Behandlung stützt sich grundsätzlich auf drei Säulen:
- Therapie des akuten Schubs
- Verlaufsmodifizierende Therapie
- Symptomatische Therapie
Leben mit Multipler Sklerose
Mal mit mehr, mal mit weniger Einschränkungen – ein Leben mit Multipler Sklerose ist möglich. Die Fachleute haben hierfür ganz konkrete Vorschläge :
- So aktiv bleiben wie möglich, ohne sich dauerhaft zu überfordern
- Auf die eigenen Fähigkeiten und Stärken konzentrieren, nicht auf Unzulänglichkeiten und Beeinträchtigungen
- Informiert sein, sich Wissen über die Krankheit und aktuelle therapeutische Optionen aneignen
- Vertrauen in sich entwickeln und Eigenverantwortung übernehmen
- Individuelle Leistungsgrenzen definieren und akzeptieren
- Trauer über den Verlust von Fähigkeiten zulassen, aber dennoch optimistisch nach vorne schauen
- Verlorengegangene Fähigkeiten kompensieren – durch technische Hilfsmittel, Handlungs- und Problemlösungsstrategien
- Verborgene Potenziale entdecken und das Selbstbild neu definieren
- Neue Lebensziele setzen. Um Hilfe bitten, wenn sie benötigt wird
Oft schmerzhaft lernte Applegate am Set immer wieder von Neuem die Grenzen kennen, die ihr Körper setzte. Sie hatte Schwierigkeiten, die Treppe herunterzulaufen, in einigen Szenen hielt ein Freund ihre Beine, sie kam mit dem Rollstuhl an den Drehort. An manchen Tagen konnte sie gar nicht arbeiten. Die Schauspielerin erzählt, dass „die Fertigstellung der Serie das Härteste war“, was sie je getan habe. Und doch hat sie es durchgezogen.
Katrin Gensecke ist nun seit mehr als 25 Jahren an Multipler Sklerose erkrankt. Ihre Erkrankung stabilisierte sich über die Jahre, auch wenn es immer wieder schwierige Zeiten gibt.
Ähnliches erzählt die „Eiskalte Engel“-Schauspielerin Blair dem US-Radiosender NPR. Inzwischen gehe es ihr, auch dank einer Stammzelltransplantation, besser: „Ich bin in großartiger Form, aber ich habe bleibende Schäden.“ Unter anderem merke man das an ihrer Stimme, die manchmal blockiere. Mehr von ihrem bewegten Leben berichtet Blair in ihrer Autobiografie, die sie ihrem Sohn gewidmet hat. Die habe sie vor allem geschrieben, um anderen Menschen, vor allem anderen von Multipler Sklerose Betroffenen, Mut zu machen, sagt Blair: „Es ist nie zu spät, die Kontrolle über die Dinge wiederzubekommen.“
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