"Die Komfortzone zu verlassen, bringt die Psyche in ein besseres Gleichgewicht"

Wer kann, arbeitet derzeit im Home-Office. Der Arbeitsweg fällt weg, auch der soziale Kontakt zu Kollegen. Wie ungesund ist das Arbeiten von zuhause?

Home-Office ist grundsätzlich eine schöne Sache. Angestellte haben mehr Freiraum und können sich ihre Arbeitszeit flexibler einteilen. Aber in der aktuellen Situation kann das schnell ins Gegenteil umschlagen: Die Wohnung ist für einen zusätzlichen Schreibtisch vielleicht zu klein, der Partner ist womöglich ebenfalls zuhause, die Kinder auch, weil Kitas und Schulen geschlossen sind. Ungestörtes Arbeiten ist dann oft nicht mehr möglich. Das sorgt für Stress. Der wiederum wird kompensiert mit ungesundem Verhalten: Wir essen womöglich zu viel und zu ungesund, snacken zwischendurch und bewegen uns wegen der Ausgangsbeschränkungen auch noch zu wenig. Um mich nicht falsch zu verstehen: Zuhause zu arbeiten ist nicht per se schlecht – vorausgesetzt, man hat einen weitgehend normalen Alltag. Aber in der jetzigen Lage ist die Kombination aus physiologischer Sicht tragisch.

"Superspreader" im Elsass

Auf einem Kirchenfest steckten sich mehr als 2000 Menschen an – wie konnte es dazu kommen?

Wenig Bewegung und viel Essen steckt der Körper für einen gewissen Zeitraum sicher gut weg. Ist das wirklich alles so schlimm?

Für einen kurzen Augenblick nicht, aber auf Dauer richtet es großen Schaden an. Wir wissen: Dauerstress beeinflusst den Blutdruck, den Herzschlag, die Atmung. Zu wenig Bewegung und zu viel Essen schlagen außerdem aufs Gewicht. Übergewicht wiederum fördert weitere Folgekrankheiten wie Diabetes-Typ-2.

Über welchen Zeitraum reden wir?

Grundsätzlich fördert jeder Tag, der nicht in einer gesundheitsbewussten Struktur abläuft, das Risiko für Folgekrankheiten. Angenommen, wir würden diesen Lebensstil – wenig Bewegung, mehr Stress, falsche Ernährung, höherer Alkoholkonsum – für drei bis fünf Monate weiterführen, kann man aus wissenschaftlicher Sicht schon davon ausgehen, dass während dieses Zeitraums Grunderkrankungen massiv vorangetrieben werden. Wir sprechen hier beispielsweise von Herz-Kreislauf-Leiden, aber auch Stoffwechselkrankheiten. Paradoxerweise sind das auch eben jene Krankheiten, die das Risiko erhöhen, schwer an Covid-19 zu erkranken. Das gleiche gilt übrigens auch für viele weitere virale und bakterielle Infektionen.

Was kann jeder Einzelne konkret tun, um seine Gesundheit zu schützen?

Bei der Ernährung sind vor allem drei Dinge kritisch: zu viele einfache Kohlenhydrate, zu viel Zucker und zu viel Alkohol. Zusammen fördern sie Übergewicht und das Risiko für Diabetes-Typ-2. Ein guter Anhaltspunkt für das persönliche Risiko ist der Bauchumfang. Bei Männern wird es kritisch ab einem Wert von 112 Zentimetern, gemessen am Bauchnabel. Bei Frauen sind es Werte über 94 Zentimeter. Ein guter Anfang kann dann sein, all diese Dinge für vier Tage in der Woche wegzulassen und durch gesunde Lebensmittel zu ersetzen – statt Weißmehl- beispielsweise Vollkornprodukte zu essen. Darüber hinaus gelten die Grundsätze der gesunden mediterranen Ernährung. Also: Auf die Qualität von Lebensmitteln achten. Gute Öle wie Lein-, Raps- und Olivenöl verwenden. 500 Gramm Gemüse und zwei Portionen Obst am Tag essen. Auch Hülsenfrüchte und Nüsse sind gesund. Fleisch dagegen nur in Maßen.

Michael Despeghel ist Sportwissenschaftler und Referent zu den Themen Fitness, Prävention und Gesundheit. Despeghel ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für präventive Männermedizin und lehrt als Gastdozent am sportwissenschaftlichen Institut der Universität Gießen.

Und in puncto Bewegung?

12.000 Schritte am Tag sind ein guter erster Anfang, um Bewegungsmangel vorzubeugen. Das ist aber noch kein Bereich, von dem ein positiver Effekt auf die Gesundheit zu erwarten ist, sondern dient lediglich dazu, einem Mangel vorzubeugen. Zum Vergleich: Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt täglich mindestens 30 Minuten Sport mit moderater Intensität. Man sollte also schon leicht ins Schwitzen kommen.

Wer einen Schrittzähler besitzt, kennt wahrscheinlich eine andere Empfehlung: 10.000 Schritte am Tag sollten es mindestens sein. Warum sprechen Sie von 12.000?

Die Empfehlung von 10.000 Schritten wurde und wird oft kritisiert – zu Recht. Denn wenn man prüft, was dabei an Kilokalorien verbrannt wird und was dabei an Bewegungs-Output entsteht, ist das erstaunlich wenig. Man hat sich einfach auf diese 10.000 Schritte vor Jahrzehnten eingefahren, weil das so eine schöne runde Zahl ist. Bei 12.000 Schritten sehen wir schon einen größeren Nutzen. Besser noch wäre es, 15.000 Schritte am Tag zu gehen. Nur erreicht das kaum jemand. Also lautet der nächste logische Schritt: Sport machen.

Sind die 30 Minuten Sport am Tag ein guter Richtwert oder darf es auch ein bisschen mehr sein?

Wenn ich täglich 20 Minuten im Ausdauerbereich trainiere – also Radfahren, schnelles Gehen, Nordic-Walking und Schwimmen – dann reduziert sich nach zwölf Wochen die Herzfrequenz und der Blutdruck sinkt. Aber mit 20 Minuten erreiche ich nicht den Stoffwechsel, das Cholesterin zum Beispiel. Das passiert ab 35 Minuten. Und wenn ich zusätzlich noch einen positiven Effekt auf das Immunsystem haben möchte, sollte ich ab 45 Minuten im Ausdauerbereich trainieren. Es gibt also verschiedene Schubladen, die ich ziehen kann. Wenn ich nun alle diese positiven Effekte mitnehmen möchte, gilt die Faustregel: Verbrauche als Mann 2500 Kilokalorien mehr in der Woche durch körperliche Aktivität. Als Frau 1500, um diesen maximalen Schutz zu bekommen. Das würde bedeuten: drei bis vier Mal in der Woche eine halbe Stunde joggen zu gehen.

Sport hat nicht nur Auswirkungen auf den Stoffwechsel – sondern auch auf die Psyche. Gerade in der aktuellen Zeit ist das wichtiger denn je. Wie viele Sport sollte es sein, um den Kopf frei zu bekommen?

Allein mit Schrittezählen tritt dieser Effekt nicht ein. Ein Rumschlendern reicht nicht, es braucht schon eine gewisse Reizschwelle – etwa 60 Prozent der maximalen Belastungsmöglichkeit. Die Herzfrequenz im Ausdauerbereich sollte auf jeden Fall in einem Bereich von 190 minus des Lebensalters in Jahren liegen. Wenn ich das erreiche, tritt auch diese euphorisierende Wirkung ein. Der Körper schüttet körpereigene Opiate aus, die im Gehirn für gute Laune sorgen. Gleichzeitig werden Stresshormone reduziert. Das alles ist an höhere Reize gebunden, ist aber bei den Werten, die ich eben nannte – 2500 für Männer, 1500 für Frauen – schon berücksichtigt.

Was ist der beste Sport für die Psyche?

Ein bisschen was von allem, vor allem eine Kombination aus Ausdauer- und Krafttraining. Wenn die Zeit nur für eines von beiden reicht, dann ist sogar das Krafttraining laut den neueren Untersuchungen zu bevorzugen, weil die Muskulatur ein ganz entscheidender Faktor ist. Auf der einen Seite ist sie wichtig für die Stabilisierung des orthopädischen Systems, auf der anderen Seite ist sie aber auch neben der Leber die wichtigste Stoffwechselküche, die der Mensch besitzt. Und tatsächlich gibt es auch da diese euphorisierende Wirkung, diese Ausschüttung der Glückshormone, wenn man starke Beanspruchungen im Kraftbereich hat und wirklich an seine Grenzen geht. Zum Beispiel Liegestütze so lange macht, bis die Muskeln brennen und man das Gefühl hat: Jetzt geht nichts mehr. Deswegen ist Krafttraining so wichtig, wird aber nicht so gerne gemacht, weil es natürlich anstrengend ist. Aber genau das ist das Entscheidende. Ausdauertraining machen mehr Menschen, man muss aber auch sagen, dass sich die meisten völlig unterfordern. Die Komfortzone zu verlassen, bringt die Psyche in ein besseres Gleichgewicht.

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