Corona

In einem Impfzentrum haben Kinder versehentlich den falschen Impfstoff bekommen (Symbolbild)

Die Impfungen der Kinder zwischen fünf und elf Jahren sorgen derzeit bei vielen Eltern für Aufregung. Die einen wollen ihre Kinder lieber früher als später impfen lassen, um ihnen weitere Quarantänen und das Risiko einer Coronainfektion zu ersparen. Andere machen sich Sorgen, dass die Kleinen den Impfstoff nicht gut vertragen.

Die Nachrichten über eine Panne aus dem Impfzentrum im nordrhein-westfälischen Attendorn trugen Anfang dieser Woche zur Verunsicherung bei. Drei Kinder – sieben, zehn und elf Jahre – sind dort nach Angaben des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums versehentlich mit dem Boosterimpfstoff von Moderna geimpft worden. Für Kinder dieser Altersgruppe ist derzeit jedoch nur der Kinderimpfstoff von Biontech zugelassen. Die Eltern von zwei der betroffenen Kinder zeigten den Vorfall noch am Sonntag an.

Der Bericht sorgte wohl auch deshalb so für Aufsehen, weil zunächst unklar war, um wie viele Kinder es sich handelte. Wie die »Siegener Zeitung« berichtet, soll auf der Meldung, mit der der Kreis Olpe die Öffentlichkeit informierte, die Seriennummer 249 gestanden haben. Offenbar dachten einige Autorinnen und Autoren daher fälschlicherweise, es handle sich um mehr als 200 betroffene Kinder.

Indessen kochen in den sozialen Medien die Emotionen hoch, es ist von Kindeswohlgefährdung die Rede. Wie schlimm ist die Verwechslung aus medizinischer Sicht? Und wie sorgen Impfzentren dafür, dass ein solcher Irrtum nicht mehr vorkommt? Der Überblick.

Was ist passiert?

Am vergangenen Sonntag wurden im Impfzentrum Attendorn im Kreis Olpe im südlichen Sauerland drei Kinder unter zwölf Jahren versehentlich mit dem Boosterimpfstoff der Firma Moderna geimpft, obwohl für diese Altersgruppe nur der Kinderimpfstoff von Biontech zugelassen ist. Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium bestätigte dem SPIEGEL den Vorfall.

Der Kreis Olpe hatte bereits am Sonntag über die Verwechslung informiert. Der Fehler sei der impfenden Medizinischen Fachangestellten selbst aufgefallen, hieß es. Die Eltern der betroffenen Kinder seien sofort über den Vorfall informiert worden. Laut »Siegener Zeitung« war hingegen den Eltern die Fehlimpfung anhand des Impfpass-Eintrags aufgefallen.

Bei den Kindern waren den Angaben zufolge zum Zeitpunkt des Verlassens des Impfzentrums keine Auffälligkeiten festgestellt worden. Auch dem Gesundheitsministerium lagen demnach keine Informationen darüber vor, dass bei einem der Kinder Nebenwirkungen aufgetreten seien. Es gehe ihnen gut.


Die Eltern von zwei der betroffenen Kinder zeigten den Vorfall anschließend bei der Polizei an, bestätigte ein Sprecher der Polizeiwache Attendorn dem SPIEGEL. Es werde nun wegen Körperverletzung ermittelt, der Fall sei an die Kriminalpolizei Olpe übermittelt worden. »Im Ermittlungsverfahren ist zu prüfen, ob Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten von in der Impfstelle des Kreises Olpe tätigen Personen im Zusammenhang mit den erfolgten Impfungen der Kinder vorliegen«, teilte das NRW-Gesundheitsministerium dazu mit.

Nach einem Austausch unter allen relevanten Akteuren am Montag, darunter dem ärztlichen sowie dem organisatorischen Leiter des Impfzentrums, teilte Landrat Theo Melcher (CDU) mit, der Fehler sei der impfenden Fachkraft und einer betroffenen Familie mit zwei Kindern aufgefallen. Es sei von einem individuellen Versäumnis auszugehen, die Fachkraft sei sofort aus dem Impfgeschehen herausgenommen worden.

Wie schlimm ist es, wenn Kinder unter 12 Jahren mit Moderna statt Biontech geimpft werden?

Diese Frage lässt sich aus zweierlei Sicht beantworten: aus medizinischer und aus rechtlicher.

Aus medizinischer Sicht ist das Versehen nicht so schlimm, wie es zunächst klingt. Die Drittimpfung von Moderna beinhaltet nur die halbe Dosierung – und damit genau so viel Wirkstoff (50 Mikrogramm), wie das Unternehmen für Kinder zwischen sechs und elf Jahren sowieso vorgesehen hat.

Die Moderna-Impfung ist zwar im Gegensatz zur Biontech-Impfung noch nicht für diese Altersgruppe zugelassen. Das Unternehmen hat seinen Impfstoff jedoch bereits bei Sechs- bis Elfjährigen getestet und im November eine Erweiterung seiner Marktzulassung in Europa für diese Altersgruppe beantragt. Aktuell prüft die Ema die eingereichten Dokumente.

An der Moderna-Studie hatten mehr als 4700 Kinder in dem Alter teilgenommen. Das sind deutlich mehr als bei der Biontech-Zulassungsstudie, für die knapp 2300 Kinder im Alter zwischen fünf und elf Jahren untersucht wurden. Ein Teil der Kinder erhielt bei der Studie zwei 50-Mikrogramm-Dosen des Moderna-Impfstoffs im Abstand von 28 Tagen, ein Teil ein Placebo.


Moderna zufolge vertrugen die Kinder den Impfstoff gut. Die beobachteten Nebenwirkungen waren einer Mitteilung zufolge vergleichbar mit denen bei Studien mit Teenagern und Erwachsenen. Am häufigsten litten die Kinder unter Kopfschmerzen, Fieber, Schmerzen an der Einstichstelle und Abgeschlagenheit. Außerdem entwickelten sie »eine robuste Antikörperantwort«, wie das Unternehmen mitteilte.

Auf Grundlage der Ergebnisse ist davon auszugehen, dass die in Olpe versehentlich geimpften Kinder keiner größeren Gefahr ausgesetzt sind und von der Impfung profitieren. Dennoch ist es bedenklich, einen Impfstoff einzusetzen, bevor unabhängige Fachleute Nutzen und Risiko des Mittels bewertet und sich für eine Zulassung ausgesprochen haben.

Hinzu kommt, dass es Hinweise darauf gibt, dass der Moderna-Impfstoff bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in seltenen Fällen zu Herzmuskelentzündungen führen kann. Aus diesem Grund empfiehlt die in Deutschland ansässige Ständige Impfkommission (Stiko) für 12- bis 30-Jährige aktuell ausschließlich die Biontech-Vakzine, obwohl der Moderna-Impfstoff für diese Altersgruppe offiziell zugelassen ist.

Rein rechtlich gilt: Im Zweifel können Ärztinnen und Ärzte Medikamente auch außerhalb ihrer Zulassung einsetzen – etwa wenn es Hinweise darauf gibt, dass jemand trotz fehlender Zulassung erheblich profitieren würde und keine Alternativen verfügbar sind. Zu Beginn der Coronapandemie etwa waren noch keine Medikamente explizit für Covid-19 zugelassen. Dennoch wurden bestimmte Mittel verwendet, bei denen Studien auf einen Nutzen für Schwerkranke hindeuteten.

Voraussetzung eines solchen sogenannten Off-Label-Einsatzes ist jedoch, dass Patientinnen und Patienten darüber aufgeklärt werden. Außerdem ist er nur ratsam, wenn keine Alternativen verfügbar sind. Auf den Moderna-Impfstoff trifft das für Kinder dieser Altersgruppe aktuell nicht mehr zu, da mit der Biontech-Vakzine ein zugelassener mRNA-Impfstoff für Fünf- bis Zwölfjährige existiert.

Vergangene Woche wurde die Corona-Impfverordnung so geändert, dass der Staat im Falle eines Impfschadens nach einer Off-Label-Impfung haftet. Dies war lange strittig. Allerdings bekräftigte das Bundesgesundheitsministerium auf Twitter, dass die Impfungen von unter Fünfjährigen sowie Kinder-Boosterimpfungen von der neuen Regelung ausgenommen seien. Eine Juristin widersprach dieser Darstellung.

Im Fall aus Olpe hingegen handelt es sich nicht um eine offizielle Off-Label-Impfung, da die impfende Angestellte den Moderna-Impfstoff nicht bewusst oder aus medizinischen Gründen verabreichte. Auch die Eltern waren nicht darüber in Kenntnis gesetzt. Sollten die Kinder tatsächlich infolge der Impfung Schäden erleiden, »sind im Rahmen der Amtshaftung Ansprüche gegen das Land Nordrhein-Westfalen zu richten«, teilte das Gesundheitsministerium dazu mit.

Welche Konsequenzen hat der Vorfall?

Der Kreis Olpe bekräftigte, dass der Vorfall zum Anlass genommen werde, sämtliche Abläufe um Kinderimpfungen noch einmal zu überprüfen. Sollten dabei weitere Vorfälle festgestellt werden, würden die Eltern davon in Kenntnis gesetzt.

Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium wies gegenüber dem SPIEGEL darauf hin, dass die Kreise und kreisfreien Städte per Erlass angewiesen worden seien, die Impfangebote für Kinder getrennt von den übrigen Angeboten an Erst-, Zweit- oder Boosterimpfungen für Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren vorzuhalten. Das Ministerium sei derzeit mit dem Kreis Olpe im Kontakt, um den Vorfall aufzuklären.

Landrat Melcher sagte, man werde die Ständige Impfkommission um eine fachliche Einschätzung bitten. Mit den beiden betroffenen Familie wolle der Kreis engen Kontakt halten. Er kündigte an, Impftermine würden künftig nur noch so vergeben, dass jeweils nur ein Impfstoff in einer Dosierung verwendet werde.

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