"Quarantäne ist etwas für Reiche" – wie sich das Virus in Rios Favelas ausbreitet

Die Meldung verbreitete sich in Rios Armenviertel schnell über die sozialen Medien: „Leute, bleibt zu Hause“, heißt es in der Warnung über das Coronavirus. „Die Sache ist ernst und es gibt immer noch Typen, die sich darüber lustig machen.“ 

Die Nachricht fährt in dicker roter Schrift fort: „Ab jetzt bleibt ihr zu Hause, ob ihr wollt oder nicht. Ausgangssperre jeden Tag ab 20 Uhr. Wer auf der Straße erwischt wird, muss lernen, wie man seinen Nächsten respektiert.“ 

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Banden übernehmen Aufgaben der Behörden

Das Schreiben stammt nicht von der Regierung oder der Polizei, sondern vom Comando Vermelho, dem Roten Kommando, eines der größten Drogenkartelle Brasiliens. Die letzten Sätze lauten: „Wir wollen das Beste für das Volk. Wenn die Regierung nicht in der Lage ist, das zu lösen, wird es das Organisierte Verbrechen tun.“ Warnungen wie diese werden nicht nur in den Favelas in Rio de Janeiro verbreitet, sondern auch in den armen Vorstädten, wo die Milicia großen Einfluss hat, die Miliz, ein Verbrechenssyndikat aus lokalen Gangstern und ehemaligen Polizisten.

Dass sich das Organisierte Verbrechen in den Alltag der Menschen einmischt, ist in Brasilien keine Seltenheit. Es legt Regeln fest, spricht Strafen aus, agiert an vielen Orten wie eine Art Mischung aus Drogenbande, Ordnungsamt und Dorfgericht, je nach Bedarf. Peinlich für die Regierung ist, dass die Verbrecher in einem Recht haben: Der Präsident hat bisher viel zu zaghaft regiert.

Brasiliens Präsident

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Bolsonaro spricht vom Virus als „gripezinha“, einer kleinen Grippe, einem Grippchen. Er hat allerlei Dummheiten verbreitet und seinen Anhängern bis vor Kurzem noch begeistert die Hände geschüttelt.

Die Verbrecher legen die Strafen fest

Die Bewohner des Armenviertels Capote in Rios Vorstadt São Gonçalo halten sich an die von den Banden vorgegebenen Regeln. Leticia, die alleinerziehende Mutter zweier Kinder, 32, sagt dem stern am Telefon, dass sie sich selbstverständlich an das Ausgangsverbot halten werde.

„Sie haben hier die Macht“, sagt sie und spricht im Zusammenhang mit den Verbrechern nur vom „trafico“, vom Handel, dem Drogenhandel. „Es wäre leichtsinnig, jetzt tatsächlich auf die Straße zu gehen. Die Verbrecher legen hier die Strafen fest. Die Polizei hat keinen Einfluss. Die patrouilliert draußen auf den Hauptstraßen. Zu uns ins Viertel kommen die Polizisten nur selten rein. Auf sie verlassen kann man sich ohnehin nicht.“Eine andere Mutter sagt, dass sie die Regierung sowieso nicht ernst nehme. „Wir kriegen natürlich mit, wie sich die Welt verhält, was sich in Italien für eine Tragödie abspielt“, sagt Rebecca, 35, die im Zug der Krise ihren Job als Küchenhilfe in einem Fleischrestaurant verlor. Man muss sich an die Regeln halten, die Distanz wahren, keine Feste mehr feiern, auch wenn unser Präsident sich lächerlich darüber macht. Aber inzwischen hat er es wohl begriffen“, schiebt sie hinterher.

Tatsächlich hat auch Bolsonaro den Kurs geändert, wenngleich es – wie in den USA auch – vor allem die Gouverneure der Bundesstaaten sind, die vorangehen. Im Staat Rio de Janeiro sind die Schulen geschlossen, die Busse fahren nur sehr eingeschränkt, die Menschen sind aufgefordert, Gruppen und vor allem Feste zu meiden.

Erste Coronavirus-Tote in den Favelas

Die Stadt Rio de Janeiro ist weitgehend von den Außenvierteln abgeschnitten. Zeitgleich treffen Meldungen ein: Es gibt die ersten Corona-Toten in den Favelas und Infizierte inzwischen fast überall. Die Ansteckungsgefahr ist hier besonders groß. In manchen Armenvierteln gibt es kein fließend Wasser. Die Menschen leben eng an eng, bis zu zwölf Personen in einer Wohnung. Die gesundheitliche Versorgung ist schlecht, die Zahl der Tests und Schutzmasken beschränkt.

WHO-Empfehlung ignoriert

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Rebecca, die nicht nur mit ihrer Schwester und deren drei Kindern in einem Haus lebt, sondern auch mit ihrer diabeteskranken Mutter und ihrem herzkranken Stiefvater, sagt es stellvertretend für viele Brasilianer so: Natürlich leben die Alten mit uns. Wo sollen sie denn sonst leben? Sollen wir sie auf die Straße setzen? Quarantäne ist etwas für Reiche.“

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