Mein liebes Tagebuch

Was ist die Arbeit der Apotheken dem Bundesgesundheitsministerium und Herrn Lauterbach wert? Nichts, außer einem Schulterzucken. Geringer kann die Wertschätzung für unseren Berufsstand nicht ausfallen. Aktuelle Beispiele aus dem Hause Lauterbach gefällig? Hier sind sie: Lächerliche 50 Cent fürs Management der Lieferengpässe, keine dauerhafte Verlängerung der erleichterten Abgaberegelungen bei Lieferengpässen, stattdessen bürokratische Irrsinns-Regelungen mit Arzneimittellisten, außerdem eine ePA-Kassen-App fürs E-Rezept, die den Weg für EU-Versender provoziert und die Sicherheitsstruktur untergräbt. Und ja, seit rund 20 Jahren keine Honoraranpassung! Die ABDA eskaliert: „Wir gehen geschlossen in die Vollen“, Streik nicht ausgeschlossen. Also, dann schreiben wir schon mal die Streik-Plakate. 

13. März 2023

Die erleichterten Abgaberegeln der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung, mit denen die Apotheken „mehr Beinfreiheit“ bei der Abgabe von Arzneimitteln erhalten, laufen offiziell am 7. April 2023 aus. Mit diesen Abgaberegeln konnten und können die Apotheken zu Zeiten der Corona-Pandemie und der Lieferengpässe ihre Patientinnen und Patienten leichter und unbürokratischer mit Arzneimitteln versorgen: Verordnete Arzneimittel, die nicht vorrätig oder lieferbar waren und sind, können seit April 2020 ohne Retaxgefahr ausgetauscht werden. Ein Segen für alle Beteiligten! Und was geschieht nun nach dem 7. April? Lieferengpässe erschweren noch immer die Arzneimittelversorgung, die Lage auf dem Arzneimittelmarkt hat sich sogar noch verschlechtert: Immer mehr Arzneimittel sind nicht oder nur sporadisch lieferbar. Die Bundesregierung beabsichtigt zwar, erleichterte Austauschregelungen in abgespeckter Form beizubehalten – das Arzneimittel-Lieferengpass­bekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz ist in Vorbereitung, wird aber erst im Sommer in Kraft treten können. Bis dahin gibt es eine Regelungslücke, Apotheken könnten nicht lieferbare Arzneimittel nicht mehr ohne Retaxgefahr austauschen, es droht ein Versorgungschaos! Die ABDA hat eindeutige Warnungen bereits mehrfach in Richtung Politik gesandt und auf diese Gefahr hingewiesen. Und sie will ihren Druck noch erhöhen. Die Politik scheint sich mittlerweile ein bisschen zu bewegen. Aus Koalitionskreisen ist zu hören, dass die erleichterten Abgaberegelungen mit einem Änderungsantrag zu einem Gesetzentwurf, der sich bereits auf der Zielgeraden befindet, verlängert werden sollen (siehe auch den Tagebuch-Eintrag vom 16. März). Mein liebes Tagebuch, so eine Regelung muss kommen, alles andere wäre die bewusste und vorsätzliche Inkaufnahme eines Versorgungschaos. 

 

14. März 2023

Die ABDA legt nach und erhöht den Druck. In einer Pressekonferenz unter dem Titel „Apothekerschaft warnt: Nach Ostern droht ein Versorgungschaos“ werden Öffentlichkeit und Politik nochmals auf das mögliche Versorgungschaos aufmerksam gemacht, wenn die Regelungslücke für erleichterte Abgabemöglichkeiten bei Lieferengpässen nicht geschlossen wird. ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening: „Die flexiblen Abgaberegeln machen es überhaupt erst möglich, dass die Apotheken in Zeiten zunehmender Lieferengpässe weiterhin Patienten versorgen können. Und zwar, ohne dass dies zu Mehrkosten für die Krankenkassen führt.“ Mein liebes Tagebuch, dieser Druck auf Lauterbach kann gar nicht groß genug sein, vor allem wenn man hört, dass bereits mehrere Gespräche mit Lauterbach stattgefunden hätten, in denen die ABDA auf notwendige Anschlussregelungen hingewiesen habe – ohne Erfolg. Mein liebes Tagebuch, Lauterbach scheint uns Apothekers zu ignorieren. Lauterbach zeigte bisher keine Bereitschaft, den Apotheken diese weitreichenden Austauschmöglichkeiten zu erhalten. Die unerträglichen Schwierigkeiten der Apotheken, die Bevölkerung in Zeiten von Lieferengpässen zu versorgen, will er nicht sehen. Und so hielt sich Overwiening nicht mit Kritik zurück. Der Entwurf enthalte Regelungen, die den Apothekern keine Hilfe beim Engpass-Management sind. Sie seien vielmehr „bürokratischer Irrsinn, nicht brauchbar und nicht zielführend“, so die ABDA-Präsidentin. Schön, dass das aus dem Berliner Apothekerhaus so deutlich kommt. Und es kommt noch mehr! Intensivierung der Gespräche mit Abgeordneten, Aufklärung der Öffentlichkeit über Soziale Medien, Plakatierung und Beschallung des öffentlichen Raums – na, mein liebes Tagebuch, da scheint sich was zu bewegen. Hoffen wir, dass es nicht nur bei starken Worten bleibt.

 

15. März 2023

Das E-Rezept ist das eine große Digitalisierungsthema im Gesundheitswesen, das andere ist die elektronische Patientenakte (ePA), die ebenfalls nicht wirklich vom Fleck kommt. Doch die will unser Bundesgesundheitsminister nun mit einem Turbo-Schub voranbringen. Bis 2025 sollen 80 Prozent der Versicherten ihre ePA haben, ganz automatisch. Und wer sie partout nicht will, muss dann aktiv widersprechen (Opt-out-verfahren). Wie allerdings das Widerspruchsverfahren konkret aussehen soll, ist derzeit noch offen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hat jedenfalls nichts gegen die ePA für alle, obwohl aus seiner Sicht eine ePA-Opt-out-Lösung nicht erforderlich sei. Kelber selbst outete sich als Fan der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Als Privatperson wolle er sogar eine ePA mit der Standardeinstellung haben, dass alle Ärzte alles sehen dürften, weil er eine optimale Versorgung haben möchte. Mein liebes Tagebuch, fraglich ob dies alle Bürgerinnen und Bürger so möchten – da schwingt doch gleich die Vorstellung vom gläsernen Patienten mit. Mein liebes Tagebuch, man darf auch gespannt sein, wie zum Beispiel geregelt wird, dass man bestimmte Informationen in der ePA „verschatten“ kann, so dass sie nicht für alle einzusehen sind.

 

Die Kritik am geplanten Gesetz zur Bekämpfung der Lieferengpässe reißt nicht ab. So wies auch die ABDA auf ihrer Pressekonferenz darauf hin, dass die in diesem Gesetz vorgesehenen Austauschregelungen für Apotheken „bürokratischer Irrsinn, nicht brauchbar und nicht zielführend“ sind. So ist z. B. vorgesehen, die Engpassliste des BfArM als Grundlage für die erleichterten Regeln zu nehmen. Aus ABDA-Sicht ist das keine gute Idee, wie es auch Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission und in dieser Funktion auch Mitglied des Beirats zu Liefer- und Versorgungsengpässen beim BfArM, deutlich machte. Denn zum einen enthält diese Liste nur Rx-Arzneimittel; die Kinderfiebersäfte und andere OTCs, bei denen es immer wieder zu Engpässen kommt, tauchen da gar nicht auf. Andererseits könnte es Arzneimittel noch im Handel oder in der Apotheke geben, obwohl sie vom Hersteller als nicht lieferbar gemeldet werden und sie gelistet werden. „Die Liste, so wie der Referentenentwurf sie vorsieht, gibt es nicht, kann es nicht geben und wenn es sie gibt, hat sie mit der Versorgungsrealität nichts zu tun“, erklärte Schulz. Mein liebes Tagebuch, vollkommen richtig! Lieferengpässen mit einer bürokratischen und umständlichen Liste begegnen zu wollen, ist gelinde gesagt schräg daneben. So rasch wie sich der Markt verändert, kann keine Liste reagieren. Die Arbeitsplätze für die Listenbearbeiter kann sich Lauterbach sparen.

 

16. März 2023

War’s Einsicht, war’s der Druck, auch von der ABDA, oder alles zusammen: Der Bundestag hat grünes Licht gegeben und die erleichterten Abgaberegelungen für Apotheken bei Lieferengpässen verlängert! Das war praktisch fünf vor Zwölf! Wäre dies nicht gelungen, hätte es zu drastischen Versorgungsengpässen kommen können, denn das eigentliche Lieferengpass-Gesetz, das die Nachfolgeregelungen für die erleichterten Abgaberegelungen bringen soll, ist noch im Entstehen, sein Inkrafttreten noch in weiter Ferne. Dass die erweiterten Austauschregelungen nun so rasch kommen können, rechtzeitig bis zum 7. April, wenn die bisherige SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung ausläuft, ist dem Gesetz zur Reform der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) zu verdanken, das sich auf der gesetzgeberischen Zielgeraden befindet. Die erleichterten Abgaberegelungen konnten hier in Form eines Änderungsantrags zum UPD-Reformgesetz untergebracht werden. So weit, so gut. Allerdings, auch diese Verlängerung ist nicht von Dauer: Die Austauschmöglichkeiten sind nur bis 31. Juli 2023 befristet. Mein liebes Tagebuch, warum konnte sich das BMG noch nicht zu einer dauerhaften Lösung durchringen? Die Lieferengpässe werden auch nach dem 31. Juli bestehen. Und ob das Lauterbachsche Lieferengpass-Gesetz, das Austauschregeln nach neuen Kriterien regeln will, schon verabschiedet ist, steht in den Sternen. Was also hält Lauterbach davon ab, eine entfristete Regelung einzuführen, damit Apotheken auch weiterhin flexibel mit dem Austausch von nicht vorrätigen Arzneimitteln umgehen können? Mein liebes Tagebuch, dieser Gesundheitsminister hat den Durchblick verloren.

 

Mein liebes Tagebuch, Dr. Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, strahlt Optimismus aus: Er ist überzeugt, dass die Zeit für Honorarforderungen der Apothekerschaft reif ist. Auf einer Veranstaltung vor angehenden Pharmazeutinnen und Pharmazeuten zeigte er sich sehr zuversichtlich, dass die jüngsten Forderungen der ABDA (Honorarerhöhung auf 12 Euro) nun endlich Gehör fänden. Möglicherweise rührt seine optimistische Haltung daher, dass er einen Blick in eine ABDA-Schublade werfen konnte, in der eine ABDA-Strategie dazu liege – mehr wollte Christiansen dazu allerdings nicht verraten. Mein liebes Tagebuch, immer wieder erstaunlich, was sich so in den ABDA-Schubladen versteckt. Dann hoffen wir, dass die Zeit bald reif ist und die ABDA mit ihrer Honorarstrategie loslegen kann. Die Nachwuchs-Pharmazeutinnen und -Pharmazeuten interessierten sich allerdings nicht nur für die  Honorardiskussion. Für sie sind auch die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) eine attraktive Herausforderung ebenso wie für Christiansen: Er beschrieb sie als „zarte Pflanzen“, aus denen irgendwann ein Mammutbaum werde. Hach, da geht einem doch das Herz auf, mein liebes Tagebuch, aber wie war das noch mal mit der Wachstumszeit von Mammutbäumen? Hoffen wir, mein liebes Tagebuch, dass es etwas rascher geht und sich die pDL zügig weiterentwickeln, im Angebotsumfang, aber auch in der pDL-Honorierung. Und ja, da sollten noch etliche Apotheken einsteigen und pDL anbieten wollen – sehr gerne, der Honorartopf ist noch lange nicht leer.

 

17. März 2023

Den 28. Februar 2023 kann man fast schon historisch nennen – wir erinnern uns: Der ABDA-Gesamtvorstand hat sich getraut! Mit zehn deutlichen Forderungen hat die Berufsorganisation beschlossen, sich an die Politik zu wenden. Vor allem die deutlichen Honorarforderungen haben in der Berufsöffentlichkeit, bei der Basis für große Aufmerksamkeit gesorgt. Endlich, nach jahrelangen verhaltenen und kaum hörbaren Räuspern, die Politik möge doch bitte mal über eine Anpassung des Apothekenhonorars aus dem Jahr 2004 nachdenken, jetzt Klartext per Megaphon: Wir Apothekers fordern eine Honoraranpassung von 8,35 Euro auf 12 Euro. Basta. Und die ABDA setzt noch eins drauf: Sie verlangt eine Art automatische Anpassung für die Zukunft, einen „regelhaften Mechanismus“, der den Festzuschlag jährlich an die Kostenentwicklung anpasst, „ohne dass es gesonderter Maßnahmen des Gesetz- oder Verordnungsgebers bedarf“. Logisch, aber schwierig – denn worauf soll sich eine automatische Anpassung beziehen? Da ist noch eine Menge Diskussionsbedarf. Außerdem fordert die ABDA eine neue zusätzliche Honorarkomponente: eine regelmäßige Pauschale für jede Apotheke, quasi als Grundsicherung zur flächendeckenden Versorgung. Einen Betrag dafür nennt die ABDA nicht. DAZ-Wirtschaftsredakteur Dr. Thomas Müller-Bohn hat sich diese Forderungen mal genauer angeschaut und nachgerechnet, wie man auf die 12 Euro kommt. Seine Einschätzung: Das ist eher eine moderate Forderung. Und er hat sich auch Gedanken gemacht, warum es schwierig ist, eine automatische Anpassung des Honorars zu finden…

 

Achtung, hier lauern Gefahren! Geht es nach Lauterbach und seinem BMG, soll das E-Rezept zum 1. Januar 2024 verbindlicher Standard für ärztliche Verordnungen werden und einfach zu nutzen sein. Doch Vorsicht, in der jüngst veröffentlichten Digitalisierungsstrategie des BMG heißt es: „E-Rezept kann dann sowohl mit Gesundheitskarte wie mit ePA-App eingelöst werden.“ Moment mal, Herr Lauterbach, wie ist denn das zu verstehen? Bisher ist zur Einlösung nur vorgesehen, dass dies mittels der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) oder der Gematik-App möglich sein soll. Andere Apps oder andere Wege sind nicht vorgesehen. Jetzt schieben uns Lauterbach und sein BMG die ePA-App unter, die App der elektronischen Patientenakte (ePA), die von Krankenkassen herausgegeben wird. Da kommt von Juristen ein klares Stopp, so nicht! Nach Meinung des Gesundheitsrechtsexperten Professor Hilko Meyer ist diese ePA-App der Kassen nicht fürs Einlösen der E-Rezepte vorgesehen. Wenn ein Abruf über diese App geplant wäre, wäre dies „ein gravierender Eingriff in die Sicherheitsarchitektur und würde den Schutz der Gesundheitsdaten und die Patientenautonomie einschließlich der freien Wahl der Apotheke tangieren“. Letztlich könnte dies auch „einen Dammbruch im Hinblick auf den Zugriff anderer Interessenten auf den elektronischen Verkehr mit E-Rezepten provozieren“. Und diese anderen Interessenten, z. B. die EU-Versender, reiben sich schon jetzt die Hände. Mein liebes Tagebuch, die Rezepteinlösung über die ePA-App der Krankenkassen muss verhindert werden!

 

Mein liebes Tagebuch, nein, wir täuschen uns nicht: Es sind andere, deutlichere Töne aus dem Berliner Apothekerhaus, die seit geraumer Zeit zu vernehmen sind. „Wir gehen geschlossen in die Vollen“, bestätigt es die ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. Die ABDA will sehr deutlich machen, was sie von der Apothekenpolitik des Bundesgesundheitsministeriums hält: Es fehlt die Wertschätzung für die Leistung der Apothekenteams. Richtig, und wie sieht nun die Eskalationsstrategie der ABDA aus? Was bedeutet es, wenn „wir geschlossen in die Vollen gehen“? Da will man noch nicht allzu viel verraten, nur soviel: Man werde, je nachdem wie es nun weitergeht, das eine oder andere aus dem von allen Mitgliedsorganisationen der ABDA konsentierten Werkzeugkasten ziehen. Da können wir gespannt sein, mein liebes Tagebuch, was da alles in diesem Werkzeugkasten liegt. Die Präsidentin lässt durchblicken, dass sie nichts ausschließen könne, auch einen Streik nicht. Und sie geht davon aus: Beim BMG ist angekommen, „dass wir, wenn nötig, eskalieren werden“. Na, dann sollten wir schon mal die Eskalationswerkzeuge zurechtlegen – und die Streik-Plakate schreiben.

 

Die Wertschätzung der Politik für die Arbeit der Apotheken ist mehr als gering. Das zeigt sich ganz unverhohlen in der Absicht des BMG, den Apotheken für das Management bestimmter Lieferengpässe nur lächerliche 50 Cent zu bezahlen. Wie ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening in einer Talkrunde berichtete, habe sie gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium deutlich aufgezeigt, welche Arbeit es macht und wie viel Zeit in Apotheken dafür verwendet wird, Lieferengpässe zu managen. Die Antwort des BMG war ein Schulterzucken. Die 50 Cent orientierten sich ja nicht am Aufwand in den Apotheken, hieß es aus dem Ministerium. Ausschlaggebend für die Höhe des Betrags sei allein, was die Politik bereit sei, dem Berufsstand für seine Mühe zu geben. Mein liebes Tagebuch, klarer kann man es nicht ausdrücken, dass unsere Arbeit der Politik nichts wert ist. Allein diese Aussage ruft nach einem Streik!

Dass das 50-Cent-Angebot des BMG nicht nur eine Geringschätzung des BMG für die Arbeit der Apotheken darstellt, sondern letztlich auch für die Versorgung und die Gesundheit der Patientinnen und Patienten, davon ist DAZ-Chefredakteurin Julia Borsch überzeugt. Hier ihr Kommentar dazu.


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