„Mäßig innovativ, aber extrem kostenintensiv“

Es ist erst ein paar Jahre her, da sorgte das Hepatitis-C-Arzneimittel Sovaldi mit einem Preis von fast 20.000 Euro pro Packung für Aufregung. Mittlerweile sind fünfstellige Preise bei neuen Arzneimitteln keine Seltenheit mehr. Derzeit gilt Zolgensma als teuerstes Arzneimittel der Welt – doch auch schon das 2017 eingeführte Spinraza kommt auf fast 100.000 Euro. Für TK-Chef Jens Baas ist klar: Es muss wieder über Arzneimittelpreise gesprochen werden. Selbst bei echten Innovationen seien die nach wie vor von der Industrie „aufgedrücken“ Preise nicht nachvollziehbar.

Seit bald zehn Jahren wirkt das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) – das Gesetz, das sich erstmals die Preise patentgeschützter Arzneimittel vorknöpfte. Es war die Geburtsstunde der frühen Nutzenbewertung und der Erstattungspreisverhandlungen. Das AMNOG und die wirtschaftlich gute Lage, die sich auch bei den Krankenkassen bemerkbar machte, führten dazu, dass die zuvor geführte Dauerdebatte um zu hohe Arzneimittelpreise in den letzten Jahren stark in den Hintergrund rückte.

Der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse (TK), Jens Baas, bedauert, dass die Zeit nicht genutzt wurde. Denn nun schmelzen die Rücklagen der Kassen – und das Thema ist angesichts von Hochpreisern wie Zolgensma® oder auch Spinraza® wieder hochaktuell. Bei der Vorstellung des TK-Innovationsreports 2020 am heutigen Dienstag in Berlin sagte Baas, er rechne damit, dass es bald wieder neue Zwangsrabatte geben wird. Das sei zwar ein ungezielter „Schrotschuss“ – aber er verschaffe Zeit, eine Lösung des Problems auf gesellschaftlicher und politischer Ebene zu finden.

Was ist die Gesellschaft bereit zu zahlen?

Baas stellt nicht in Abrede, dass es wirklich innovative Arzneimittel gibt – nicht zuletzt die beiden bereits genannten gegen Spinale Muskelatrophie (SMA). Und er gesteht den Pharmafirmen auch zu, dass sie Gewinn machen wollten – aber wie hoch darf der sein? Laut Baas machte Biogen mit Spinzara® bereits 4 Milliarden Euro Gewinn, Novartis mit Zolgensma® 2,5 Milliarden.

Auch wenn es seit einigen Jahren die Preisverhandlungen gibt, ist es doch die Industrie, die den Aufschlag macht und einen Vergleichspreis präsentiert, sofern es  einen solchen überhaupt gibt – bei Orphan Drugs haben die Unternehmen freie Hand. „Wir lassen uns deren Prämissen aufdrücken“, so Baas. Das Problem ist, dass wir es hier nicht mit einem „normalen Markt“ zu tun haben. Das Arzneimittel, das der Arzt für den Patienten verordnet, muss keiner von beiden zahlen, sondern ein Dritter. Allerdings: Es ist auch nicht „die Krankenkasse“, die zahlt, sondern die Solidargemeinschaft. Daher muss aus Baas‘ Sicht die Diskussion über Arzneimittelpreise auch auf gesellschaftlicher Ebene geführt werden: Was ist die Gesellschaft bereit zu zahlen – beispielsweise für ein Arzneimittel, das dafür sorgt, dass ein an SMA erkranktes Kind laufen lernen wird?

Professor Gerd Glaeske von der Universität Bremen und Herausgeber des TK-Innovationsreports würde überdies gerne mehr darüber wissen, wie die Preise überhaupt zustande kommen. Forschung und Entwicklung sind es wohl eher nicht. Der Trend bei großen Firmen geht eher dahin, Start-ups mit vielversprechenden Molekülen aufzukaufen, wenn die klinischen Studien bereits durch sind. So war es auch im Fall von Zolgensma®. Glaeske vermisst hier Transparenz, Daten, die Entscheidungen nachvollziehbar machen.

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