Ein pharmazeutischer Blick auf den Fall Cytotec

Wer die Publikumsmedien in den vergangenen Tagen verfolgt hat, könnte den Eindruck gewonnen haben, Misoprostol in Cytotec kommt „im Geheimen“ off-Label in der Geburtshilfe zum Einsatz. Doch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. sagt offen, dass „fast alle Perinatalzentren höchster Ordnung“ Misoprostol in der Geburtshilfe verwenden. Allerdings in einem „Präparat geringerer Dosierung“ als „Cytotec 200“. DAZ.online wollte wissen, um welches Präparat es sich genau handelt und welche Rolle Krankenhausapotheken im Fall Cytotec zukommt.

Die Medienberichte über Misoprostol in Cytotec® und seinen Off-Label-Einsatz in der Geburtseinleitung haben bei Patientinnen große Verunsicherung hervorgerufen. Auch Apotheker sind wahrscheinlich verunsichert, sollten sie in der Apotheke zu dem Thema um ihre Einschätzung gebeten werden. Nicht zuletzt könnte es der Fall nur aufgrund der bereits seit Jahren bestehenden (juristischen) Verunsicherung der Ärzte in die Medien geschafft haben. Denn so einig sich die Fachgesellschaften und Experten auch präsentieren mögen, ganz so „banal“ scheint der Fall Cytotec® nicht zu sein – und auch nicht „neu“.

Aus der Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie:

Von Mai bis Juli 2013 wurden alle Kliniken mit Geburtshilfe in Deutschland (n = 738) angeschrieben. Nach einer ersten Auswertung hatten 62 Prozent der angeschriebenen Kliniken geantwortet, wovon 65 Prozent Misoprostol zur Geburtseinleitung einsetzten. Davon hielten sich lediglich 35 Prozent der Kliniken primär an die von der WHO und DGGG empfohlene Einzeldosis von 25 µg, wobei von diesen Kliniken nur rund 2,5 Prozent keine Dosissteigerung im Verlauf vornahmen.

Quelle: Z Geburtshilfe Neonatol 2013; 217 – V24_6, DOI: 10.1055/s-0033-1361347

Ein in Deutschland tätiger Arzt, der öffentlich nicht genannt werden möchte, schätzt die aktuelle Situation gegenüber DAZ.online als juristisch höchst heikel ein – allerdings differenziert er: „Ich halte Cytotec® für ein gutes Medikament, nicht nur in der dritten Welt, setze es aber aufgrund der rechtlichen und therapeutischen Unklarheiten nicht ein, denn es gibt keine einheitliche Handlungsempfehlung, wie es anzuwenden ist.“ 

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Am Beispiel der Schweiz lässt sich die Historie des Falls Cytotec® besser nachvollziehen als in Deutschland: Denn dort wurde schon im Oktober 2007 in einem Expertenbrief (No 23) über „‘Off Label use‘ von Arzneimitteln in Gynäkologie und Geburtshilfe“ durch die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe aufgeklärt. Im Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe – ähnlich wie in der Pädiatrie oder Onkologie – sei die Verwendung von Medikamenten im Off-Label-Use ein fast tägliches Phänomen. Denn pharmazeutische Firmen würden von der Beantragung einer Zulassung ihrer Medikamente bei Schwangerschaft oftmals Abstand nehmen, wegen der aufwändigen zusätzlichen Zulassungsstudien und den möglichen weitreichenden juristischen und finanziellen Folgen für die Firma – „falls Nebenwirkungen später mit dem Medikament in Zusammenhang gebracht werden“.

Emotionale und ökonomische Gründe

Rund drei Jahre später erschien im Juni 2011 ein weiterer Expertenbrief (No 38) mit dem Titel „Misoprostol zur Geburtseinleitung“. Und es scheint so, als sei die damalige Problematik keine andere gewesen als heute im Jahr 2020. Die Gründe, warum bis heute keine Lösung gefunden wurde, scheinen jedoch nicht die Sicherheitsbedenken zu sein: 

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