Die Jüngeren feiern, die Infektionszahlen steigen rasant. Hat es sich bald wieder ausgetanzt?

Sommer, niedrige Inzidenzen, geöffnete Bars. Es könnte alles so schön sein, so, wie es 2019 einmal war. Damals, vor Corona, als man noch unbeschwert durch die Nacht tanzen konnte. Doch das Virus tanzt noch immer mit. Im Topsy Turvey, einem Karlsruher Club zum Beispiel, wo nach einer Partynacht 34 Menschen positiv auf Corona getestet wurden. Oder auf dem Verknipt-Festival in Utrecht, wo sich am ersten Juli-Wochenende fast 1000 Besucher infiziert haben sollen. Keine Einzelfälle. In mehreren europäischen Ländern stiegen die Infektionszahlen zuletzt wieder an – gerade unter den Jüngeren. Hat es sich bald wieder ausgetanzt?

In Spanien hat das Virus längst wieder Fahrt aufgenommen. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt aktuell bei knackigen 258 Fällen pro 100.000 Einwohnern, in Katalonien gar bei 579 – trotz guter Impfraten. Fast 60 Prozent sind bereits vollständig geimpft. Von den Über-40-Jährigen haben bereits 89,2 Prozent mindestens eine Impfdosis erhalten, 70,6 Prozent sind vollständig geimpft. Doch das Virus findet seine Wege. Betroffen von dieser neuen Corona-Welle sind vor allem die Jüngeren, die, die noch nicht geimpft sind.

Corona-Risikogebiet


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Bei den Unter-30-Jährigen liege die Inzidenz bei über 1000, wie die "Süddeutsche Zeitung" von den spanischen Gesundheitsbehörden erfahren haben will. Noch gravierender sei die Lage im Hotspot Katalonien mit einer Inzidenz von 2400 bei Jugendlichen bis 19 Jahren, und mit etwa 3000 bei den 20- bis 29-Jährigen. Neben dem Ende der Maskenpflicht wird vor allem ein Grund für die rasante Ausbreitung der Delta-Variante angeführt: Partys.

Feiern verboten

Ein Mittel, um die Ansteckungsgefahr zu mindern, sehen die Zuständigen daher darin, den Spaß am Feiern zu vergällen. Am Strand Barcelonas wurden zuletzt ausgelassene, alkohollastige Beachpartys gefeiert. Die Stadtverwaltung kündigte nun an, die Strände mit Wasser besprühen zu wollen. Der nasse Sand soll vereiteln, dass sich die Leute dort niederlassen. In Restaurants, Bars, Sport- und Kulturlokalen ist vorerst wieder um 23.30 Uhr Zapfenstreich. Und auch in anderen spanischen Regionen wird nachjustiert. Valencia hat bereits eine nächtliche Ausgangssperre eingeführt, die an besonders stark betroffenen Orten greift. Auch auf den Kanaren will man einen solchen Antrag prüfen.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in den Niederlanden. Auch dort sind seit Freitag in Diskos und Clubs die Lichter wieder aus, Festivals untersagt. Dort, wo gefeiert wurde, so das zuständige Amt für Gesundheit und Umwelt RIVM, hätten die meisten Ansteckungen stattgefunden. Die Regierung hatte früh Corona-Maßnahmen gelockert, muss nun – einigermaßen zerknirscht, Premier Mark Rutte entschuldigte sich – zurückrudern. Denn die Zahlen steigen explosionsartig an. Der R-Wert in dem Land ist auf 2,17 geklettert. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Pandemie im März vergangenen Jahres, teilte das RIVM am Dienstag dem Parlament in Den Haag mit.

Die Sieben-Tage-Inzidenz wurde mit rund 270 beziffert. Wie in Spanien grassiert das Virus vorrangig bei den 20- bis 29-Jährigen. Die Kurve, welche die Infektionsrate dieser Gruppe abbildet, stieg zuletzt beinahe senkrecht an. Am vergangenen Samstag erreichte sie mit einem Wert von 156,2 Neuinfektionen bei 100.000 Einwohnern einen Peak, gefolgt von den 10- bis 19-Jährigen mit 81,1 Neuinfektionen. Damit sind diese beiden Gruppen mit Abstand Spitzenreiter.

Infektionszahlen steigen? Egal!

Und dann wäre da noch England. Auf der Insel treibt die Delta-Variante die Infektionszahlen schon länger wieder nach oben. Etwa zwei Drittel der erwachsenen Bevölkerung ist mittlerweile vollständig geimpft. Und die Inzidenz? Über 320. Trotzdem will man dort von Restriktionen nichts mehr hören. Am 19. Juli sollen alle verpflichtenden Corona-Maßnahmen aufgehoben werden. Dann fällt nicht nur die Maskenpflicht, sondern auch Abstandsregeln und Registrierungen in den Restaurants. Die Clubs öffnen wieder. Gefeiert werden soll ab dann gar ohne Besucherlimit. Experten hatten mit einem Schreiben, das im "Lancet" veröffentlicht wurde, noch versucht, einen Aufschub der Lockerungen durchzusetzen. Sie nannten diese ein "gefährliches und unethisches Experiment". Sie warnten vor der Gefahr für Jüngere, Un- oder Halbgeimpfte. Der Blick auf die Neuinfektionen zeigt auch dort, dass die meisten Ansteckungen in der Gruppe der Jüngeren im Alter zwischen 12 und 24 Jahren stattfinden.

Die Zahlen in Großbritannien, Niederlande und Spanien sind keine Überraschung. Experten warnen schon länger davor, dass bei einem erneuten Anstieg der Fälle, vor allem die ungeimpften Bevölkerungsgruppen betroffen sein werden. "Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass wir uns eine höhere Inzidenz leisten können, wenn die Impfquote weiter steigt. Denn für die Ungeimpften bleibt das Risiko weiterhin sehr hoch", sagte Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bereits im Juni der "Rheinische Post". Und auch Weltärzte-Chef Frank Ulrich Montgomery sagte dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" hinsichtlich der deutlich ansteckenderen Delta-Variante: "Wer sich nicht impfen lässt, wird sich früher oder später mit dem Coronavirus infizieren." 

Auch in Deutschland mehr Jüngere infiziert

Ein erster Trend ist auch in Deutschland bereits zu erkennen. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern steht die Bundesrepublik derzeit mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 7,1 zwar gut da, aber auch hierzulande steigt der Wert seit einer Woche leicht an – obwohl die Infektionszahlen in fast allen Altersgruppen rückläufig sind. Aber eben nicht in allen. Deutschland bildet keine Ausnahme, bei den jungen Erwachsenen zwischen 20 und 29 Jahren steigen die Infektionszahlen, allen voran in der Altersgruppe zwischen 20 und 24 Jahren. Bei ihnen ging die Sieben-Tage-Inzidenz laut Robert Koch-Institut (RKI) von 10 auf 19 nach oben. Zum Vergleich: bei den 75- bis 84-Jährigen dümpelt der Wert bei 1. 

"Es gibt keinen Grund zu glauben, dass sich in Deutschland die Situation substanziell anders entwickeln sollte als in Ländern, die uns in der Infektionsdynamik einige Wochen voraus sind und ähnliche Rahmenbedingungen in Bezug auf Impfquote, Infektionskontrollmaßnahmen und Klima mitbringen", sagte Epidemiologe André Karch im Interview mit dem Spiegel. Wahrscheinlich werde es auch hier in den Teilen der Bevölkerung zu einer verstärkten Infektionsausbreitung kommen, in denen die Impfquote noch verhältnismäßig niedrig ist und in denen sich gleichzeitig das Kontaktverhalten aktuell am stärksten intensiviert, zum Beispiel im Rahmen von Feiern und anderen Veranstaltungen mit vielen Personen.

"Wenn man dem ohne Veränderung der Rahmenbedingungen entgegenwirken möchte, wäre es zentral, die Impfquote bei jungen Menschen zu erhöhen, die hier besonders betroffen sind", so Karch. Derzeit beläuft sich die Impfquote bei den 18- bis 59-Jährigen laut RKI auf 41,8. Bei den Unter-18-Jährigen auf magere 1,6. Für Kinder ab 12 Jahren hat die Ständige Impfkommission nach wie vor keine generelle Impfempfehlung ausgesprochen. Empfohlen wird die Impfung lediglich für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren mit Vorerkrankungen. Insgesamt sind derzeit 43,7 Prozent in Deutschland vollständig geimpft.

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