Kaum jemand geht gern zum Zahnarzt. Manche bekommen beim Gedanken an den Bohrer oder die Betäubungsspritze schwitzige Hände. Geht die Angst vor dem Zahnarztbesuch jedoch deutlich darüber hinaus, wird es gefährlich. „Bei einer Zahnbehandlungsphobie erscheinen Betroffene erst gar nicht in der Praxis und das oft über viele Jahre hinweg“, sagt Peter Jöhren. Der Fachzahnarzt für Oralchirurgie leitet die Zahnklinik Bochum.
Nach Angaben des Instituts der deutschen Zahnärzte haben rund zwölf Prozent der Deutschen große Angst vor dem Zahnarzt. Das geht aus einer 2012 veröffentlichten Studie hervor. Die Betroffenen haben eine sogenannte phobische Störung, sie geraten regelrecht in Panik, wenn sie auch nur an den Besuch beim Zahnarzt denken. „Das kann sich beispielsweise in Form von Schweißausbrüchen, Herzrasen, Schwindel und Kreislaufproblemen äußern“, erklärt Thomas Wolf, Oberarzt an der Klinik für Zahnerhaltung, Präventiv- und Kinderzahnmedizin an der Universität Bern.
Die Ursache liegt oft in der Kindheit
Betroffene zittern mitunter auch am ganzen Körper, haben eine erhöhte Herzfrequenz, der Blutdruck kann in die Höhe schnellen. So unterschiedlich die Symptome, so verschieden sind die möglichen Ursachen. „Oft ist es der erlebte Schmerz vor, während und nach einer Zahnbehandlung, der bei Patienten zur Vermeidung führt“, erklärt Jöhren.
Der Arzt sieht den Ursprung der Krankheit bei vielen Patienten bei den ersten Zahnarztbesuchen. „Wenn schon die Behandlungen in der Kindheit schlecht waren, werden es künftige Zahnärzte schwer haben, das Vertrauen wiederzugewinnen“, sagt Oralchirurg Jöhren. Auch das soziale Umfeld spielt eine Rolle. Haben Angehörige oder Freunde Angst vor der Zahnbehandlung, kann sich dieses Gefühl auf einen selbst übertragen.
Gravierende Folgen
Was also tun? Einfach nicht hingehen ist gefährlich: Entzündete Zähne, die über einen längeren Zeitraum unbehandelt bleiben, können fatale Folgen haben – vom Schmerz mal ganz abgesehen. „Möglich sind ernsthafte akute und chronische Erkrankungen“, sagt Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK). So können Bakterien über den befallenen Zahn hinaus bis tief in die Kieferknochen eindringen. Über den Blutkreislauf kann es so zu einer manchmal lebensbedrohlichen Entzündung im Körper kommen. Ferner erhöhen chronische Zahnbettentzündungen laut Oesterreich das Risiko für Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfall.
Die Phobie wirkt sich neben der Gesundheit auch auf die Sozialisierung der Betroffenen aus. Zerstörte Zähne wirken ungepflegt und mindern häufig das Selbstbewusstsein. Weil mit entzündeten Zähnen und Zahnfleisch häufig auch mehr oder weniger starker Mundgeruch einhergeht, sind soziale Kontakte oft eingeschränkt.
Unter Vollnarkose auf den Behandlungssessel
Ohne Behandlung der Phobie geht es also nicht. „Das ist aber nicht Aufgabe von Zahnärzten, sondern von ausgebildeten Psychotherapeuten“, sagt Wolf. Bei akuten Schmerzen, die eine zahnärztliche Therapie unaufschiebbar machen, kann der Zahnarzt seinen Patienten gegebenenfalls unter Sedierung oder Vollnarkose behandeln.
„Eine Vollnarkose sollte aber nur bei akut notwendiger Behandlung durchgeführt werden“, sagt Oesterreich. Denn die Phobie ist damit nicht überwunden – und auch nicht das Problem, was sich womöglich dahinter verbirgt. Zudem birgt auch eine Vollnarkose Risiken. Darüber muss ein Patient aufgeklärt werden.
Wurzelbehandlung beim Waldspaziergang
Statt unter Vollnarkose können sich Patienten auch per Hypnose in einen Entspannungszustand versetzen lassen. Dabei werden die Gedanken des Patienten gezielt auf positive Erlebnisse gelenkt – ein Strandurlaub mit Meeresrauschen, ein Waldspaziergang mit Blumengeruch. Es gibt entsprechend fortgebildete Zahnärzte, die eine solche Hypnose zu Behandlungen anbieten.
Letztendlich kann aber nur ein Psychotherapeut mit dem Patienten den passenden Weg aus der Phobie finden. Betroffene können beispielsweise ein sogenanntes Anti-Angst-Training absolvieren. Dabei werden Patienten von einem Therapeuten behutsam an die Situation beim Zahnarzt herangeführt. „Beim ersten Zusammentreffen ist es wichtig, mit Informationen und Empathie das oft beim Patienten verloren gegangene Vertrauen gegenüber dem Zahnarzt wiederaufzubauen“, erklärt Jöhren.
Schmerzfrei mit der Lieblingsmusik im Ohr
Einfühlsam sollte sich der Arzt nach den Wünschen des Patienten erkundigen und diese aufschreiben, damit sie bei der Behandlung nicht in Vergessenheit geraten. „Manchen Patienten hilft es etwa, wenn sie während der Behandlung über Kopfhörer ihre Lieblingsmusik hören oder einfach Entspannungsmusik im Hintergrund“, sagt Oberarzt Wolf aus der Klinik für Zahnerhaltung, Präventiv- und Kinderzahnmedizin.
Heutzutage ist aufgrund moderner Verfahren in aller Regel eine schmerzfreie Zahnbehandlung möglich. „Damit die Psychotherapie dauerhaft Erfolg hat, ist entscheidend, dass der Patient bei den zahnärztlichen Behandlungen keine schlechten Erfahrungen macht“, betont Jöhren. Schon kleinste Verstöße gegen die Abmachungen zwischen Therapeut, Zahnarzt oder Patient können zu erneutem Abwehrverhalten führen, warnt Jöhren: „Das Versprechen der schmerzfreien Behandlung darf keinesfalls gebrochen werden.“
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