Corona

Der Mittwoch sollte endlich Sicherheit bringen. Für den Abend waren Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten verabredet, um über einen verbindlichen Termin für die Einbindung der Hausärzte in die schleppende Impfkampagne zu beraten. Doch nach der Entscheidung des Bundesgesundheitsministeriums am Montag, die Impfungen mit der AstraZeneca-Vakzine vorerst auszusetzen, ist derzeit völlig unklar, wie es weitergehen soll. Ein Regierungssprecher sagte, der Termin werde verschoben, zunächst solle eine Entscheidung der Europäischen Arzneimittelbehörde (Ema) zu AstraZeneca abgewartet werden. Diese wird für Donnerstag erwartet.

Dass die Verabreichung des Impfstoffs nach einigen anderen Ländern auch in Deutschland ausgesetzt worden war, hat auch die Hausärzte überrascht, die ihn schon einsetzen. Ulrich Weigeldt, der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, sagte dem SPIEGEL: »Leider sind wir in den hausärztlichen Praxen nicht vorab informiert worden, dass das Paul-Ehrlich-Institut das Aussetzen der Impfungen mit dem AstraZeneca-Impfstoff empfohlen hat, und hatten noch am Vormittag Patienten geimpft und die Impfung mit ebendiesem Impfstoff empfohlen.«

Medizinfunktionär Weigeldt: »Nicht vorab informiert worden«

»Für die ohnehin anspruchsvolle Impfkampagne ist das ein weiterer Rückschlag«, sagte Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, dem SPIEGEL. »Laut einer ersten Aussage des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung kostet uns das in etwa einen Monat. Gleichzeitig ist es gut und wichtig, dass wir Kontrollmechanismen haben, die bei Zweifeln auch greifen. Das muss den Bürgerinnen und Bürgern nun auch transparent erklärt werden, sonst haben wir ein dauerhaftes Imageproblem mit diesem Impfstoff.«

Bislang wird in Deutschland fast ausschließlich in den überregionalen und Kreisimpfzentren geimpft, am bisherigen Spitzentag, dem 12. März, erhielten dort 286.971 Menschen eine Impfung. Auf der Grafik ist zu sehen, wie sich die Nachricht, die am späten Montagnachmittag die Impfzentren erreichte, ausgewirkt hat.

Die Kanzlerin hat versprochen, bis zum Ende des Sommers allen Menschen in Deutschland ein Impfangebot zu machen, doch dafür müsste deutlich schneller geimpft werden. Daher war geplant, die etwa 50.000 Hausarztpraxen einzubeziehen. Würden diese jeweils 20 Patientinnen und Patienten pro Tag impfen, käme man so schon auf eine Million Impfungen täglich und fünf Millionen in der Woche.

Scherer wirbt für die rasche Verlagerung von den Impfzentren in die Hausarztpraxen: »Tausende kleine Impfzentren haben viele Vorteile: Sie kennen ihre Patientinnen und Patienten genau, können deren gesundheitliche Lage einschätzen und sie besser beraten, und sie sind auch noch leichter erreichbar.«

Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands

Wie sehr wirft uns der AstraZeneca-Stopp also zurück? »Ein Aussetzen bedeutet nicht, dass nicht schon in naher Zukunft wieder mit AstraZeneca geimpft wird«, sagt Scherer. »Am Ziel, die Impfkampagne schrittweise in die Praxen zu überführen, sollten wir also festhalten.«

Damit der Impffortschritt nicht weiter ausgebremst werde, fordert Weigeldt: »Es muss jetzt zügig geprüft werden, ob Menschen ein höheres Risiko für eine Thrombose haben und, wenn ja, wer zu der Risikogruppe zählt.« Diese Gruppe könne schnell mit einer anderen Vakzine geimpft werden.

Die Impflücke auf dem Land

In den Praxen können laut Weigeldt auch die Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna oder Johnson & Johnson verimpft werden. »Das beweisen unter anderem die etwa 40 hausärztlichen Praxen, die in Baden-Württemberg Biontech/Pfizer ohne Probleme bereits jetzt verimpfen«, sagt Weigeldt. Es gebe keinen sachlichen Grund, diese Impfstoffe prioritär in die Impfzentren zu liefern. »Weder Impfzentren noch Callcenter wissen um den Gesundheitszustand der Menschen, ihre Hausärztin oder ihr Hausarzt schon.« Gerade auf dem Land, sagt Weigeldt, gebe es »eine riesige Impflücke bei älteren Menschen, die nicht in die Impfzentren kommen können. Hier könnten die Hausärzte die Lücke schließen«.

Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Doch momentan kann auch in den großen Impfzentren nur der Notstand verwaltet werden. Durch die angekündigten Lieferverzögerungen, die Ende vergangener Woche bekannt wurden, die Aussetzung von AstraZeneca und die damit möglicherweise neu geschürten Ängste steht Deutschland vor neuen Schwierigkeiten.

»Sorgen machen mir ehrlich gesagt Frust und Verunsicherung in der Bevölkerung«, sagt Scherer. Aufgabe der Hausärztinnen und Hausärzte werde es sein, das Vertrauen in die Impfkampagne wiederherzustellen. »Besonders für die in den Startlöchern stehenden Praxen ist der vorläufige Stopp des Astra-Vakzins ein Nackenschlag. Es ist unklar, wie es jetzt weitergeht: Wann geht es los in den Praxen? Welche bürokratischen Hürden erwarten uns? All diese Fragen müssen nach wie vor dringend geklärt werden, damit das Impfen in den Hausarztpraxen auch ein nachhaltiger Erfolg wird.«

Allgemeinmediziner Scherer: »Bei guter Logistik ist es machbar.«

Laut Scherer ergibt der Übergang erst dann Sinn, wenn genügend Impfstoff zur Verfügung steht. »Dazu zählt hoffentlich zeitnah auch der vierte zugelassene Impfstoff von Johnson & Johnson. Das alles muss jetzt gut geplant und dann sehr schnell umgesetzt werden.« Der in Deutschland entwickelte Impfstoff von Biontech könnte zwar auch in Arztpraxen gespritzt werden, doch: »Biontech braucht eine spezielle Kühlung, darf nicht gerüttelt werden, das ist schon deutlich komplizierter als bei AstraZeneca«, so Scherer. »Aber es ist bei guter Logistik machbar.«

Selbst wenn AstraZeneca zeitnah wieder freigegeben würde und damit für die Impfung in Hausarztpraxen einsetzbar wäre, bleibt die Frage der Priorisierung: Wen sollen die Hausärzte zuerst impfen, wenn zu wenig Impfstoff da ist?

»Es kommt auf jeden Tag an«

»Es gibt die wichtigen Stiko-Empfehlungen, die Hausärzte kennen aber auch die individuelle Gefährdungslage des einzelnen Patienten, und sie wissen, wie groß der Leidensdruck ist«, sagt Scherer. »Nehmen Sie das Beispiel zweier Menschen mit der gleichen Diagnose: Der eine ist stark eingeschränkt, der andere ist gut belastbar. Dann entscheidet der Hausarzt anhand des Leidensdrucks, wer zuerst behandelt werden muss.«




Die derzeit geltende Priorisierung solle in jedem Fall Argumentations- und Entscheidungshilfe sein, sagt auch Weigeldt. Als Hausarzt müsse man aber auch begründet abwägen können, wenn man einen Patienten, etwa aufgrund von Vorerkrankungen, bei einer Impfung vorziehe. »Es hilft uns nicht, weiter zu jammern. Wir sollten all das, was wir an Impfstoff haben, so schnell wie möglich verimpfen, um jede mögliche Erkrankung zu verhindern. Es kommt auf jeden Tag an. Wir haben keine Zeit, noch eine weitere MPK-Runde abzuwarten.«

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