Intensivpfleger: Wir kämpfen für diese Patienten, auch wenn sie Impfgegner sind

Die vierte Corona-Welle hat die Intensivstationen hart getroffen. Viele Pflegekräfte verlassen ihren Beruf. Denen die bleiben, fehlt die Perspektive. Wie halten sie durch? Drei Mitarbeitende der Corona-Station der Uniklinik Göttingen geben persönliche Einblicke.

Wenn ein Patient stirbt, setzt sich Lenard Bornemann zu ihm und hält ihm ein letztes Mal die Hand. Egal wie stressig es gerade ist – niemand der Corona-Patienten soll alleine sterben. Besucher sind im Corona-Bereich der Intensivstation verboten. Wenn es vorbei ist, geht der 24-Jährige gewöhnlich vor die Tür und raucht eine Zigarette. "Es ist auch schon mal vorgekommen, dass Ärztinnen und Pfleger zusammen geweint haben", sagt er. Seit drei Jahren arbeitet er auf der Intensivstation der Universitätsmedizin Göttingen.

Eigentlich möge er seinen Beruf immer noch gerne. Doch seit dem Beginn der Corona-Pandemie gebe es immer weniger Erfolgserlebnisse. Und zu viele Tote. «Man gibt alles, versucht alles und egal, was man sich vornimmt, es bringt meistens nichts. Ich möchte, dass das aufhört», sagt Bornemann.

"Man müsste eigentlich viel mehr Erholungspausen haben"

Auf der Intensivstation in Göttingen waren Mitte Dezember 16 der insgesamt 22 Intensivbetten von Corona-Patienten belegt. Vier von ihnen seien nicht mehr infektiös. Nach Angaben eines Sprechers können sich die Belegungszahlen täglich ändern. Laut Personalschlüssel betreut eine Pflegekraft normalerweise 1,5 Patienten.

Aufgrund des erheblichen Personalmangels sei das oft nicht möglich, sagt die stellvertretende Leiterin der Station, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Aktuell komme es häufiger vor, dass man sich um mindestens zwei Corona-Patienten kümmere. "Man müsste eigentlich viel mehr Erholungspausen haben und dürfte nicht zu viele Patienten in einer Schicht betreuen", sagt die 39-Jährige.

Wer an die Herz-Lungen-Maschine muss, leidet häufig an massiven Folgeschäden

Die Behandlung der schwerkranken Menschen mit Covid ist besonders aufwendig. Beatmung, Kreislauf und Blutdruck müssen engmaschig überwacht werden. Sie benötigen Medikamente zur Symptomlinderung, zur Fiebersenkung, zur Kreislaufstabilisierung, zur Schmerzlinderung, gegen Blutgerinnung oder zur Entspannung der Muskeln.

Für Intubierte und Ecmo-Patienten, die durch eine externe Herz-Lungen-Maschine beatmet werden, liege die Sterblichkeitsrate in Göttingen bei etwa 50 Prozent, sagt die 39-jährige Pflegerin. Wer einen schweren Verlauf überlebt, muss oft viele Dinge wieder neu erlernen und leidet häufig an massiven Folgeschäden. "Viele dieser Patienten haben den Großteil ihres Lebens vermutlich hinter sich", schätzt Bornemann. Weitere Produkte auf BestCheck.de

"Fassungslos, verzweifelt und manchmal auch wütend"

Etwa 90 Prozent der Covid-Patienten, die derzeit auf der Intensivstation um ihr Leben kämpfen, sind nach Angaben der Uniklinik ungeimpft. Bettina Scharff (53), Kollegin von Bornemann und seit 30 Jahren Intensivpflegerin, macht das "fassungslos, verzweifelt und manchmal auch wütend". Als die Impfung da war und in diesen Sommer zum ersten Mal kein Corona-Patient auf ihrer Station lag, habe sie Glückstränen geweint. Jetzt sei die Situation so dramatisch wie nie zuvor. Sie wisse nicht mehr, worauf sie ihre Hoffnung noch bauen sollte.

Gelegentlich gebe es ungeimpfte Patienten, die sich gegen ihre Therapie wehrten und die Erkrankung herunterspielten, sie als Schnupfen abtäten, erzählt Scharff. Sie sei froh, dass sie mit diesen Patienten keine Unterhaltung führen müsse. Wie fast alle Corona-Patienten seien sie bereits intubiert, wenn sie auf der Intensivstation ankommen und könnten deswegen nicht mehr sprechen.

Surftipp: Alle Neuigkeiten zur Corona-Pandemie finden Sie im News-Ticker von FOCUS Online

"Wir kämpfen für diese Patienten, auch wenn sie Impfgegner sind"

Bornemann fällt es zunehmend schwer, für diese Menschen Mitgefühl aufzubringen. Weil er Angst hat, dass dieses Gefühl Überhand gewinnt, möchte er mittlerweile nicht mehr wissen, ob ein Patient geimpft ist oder nicht. "Wir kämpfen natürlich für diese Patienten, auch wenn die Impfgegner sind. Das ist mein Job, ich möchte, dass dieser Mensch überlebt", sagt der Gesundheits- und Krankenpfleger. Und doch würde es das Leben von ihm und seinen Kolleginnen sehr viel einfacher machen, wenn sich auch die Unschlüssigen impfen ließen.

Frust, Müdigkeit und Erschöpfung veranlassen derzeit viele Pflegekräfte dazu, ihren Job zu verlassen. Eine Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts hat ergeben, dass bundesweit 72 Prozent der befragten Krankenhäuser weniger Intensivpflegepersonal zur Verfügung haben als noch Ende 2020. Laut der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) stehen deswegen in der vierten Corona-Welle 3000 Beatmungsbetten weniger zur Verfügung als vor einem Jahr. In Niedersachsen ist die personelle Situation nach Angaben eines Sprechers der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft in nahezu allen Kliniken sehr angespannt. Auch an der Universitätsmedizin Göttingen verlassen in diesem Winter mehrere Fachkräfte die Intensivstation.

"Ich mache das, weil das mein Beruf ist"

Warum sie trotz allem noch da sind, können Scharff, Bornemann und ihre 39-jährige Kollegin nur schwer beantworten. Die Unterstützung im Team und das persönliche Umfeld helfen dabei, nicht den Mut zu verlieren, sagen alle drei. Für Entspannung sorge zum Beispiel der lange Spaziergang mit dem Hund oder das Ausgehen mit Freunden.

Damit sie wieder mehr Freude an ihrem Beruf haben, fordern sie bessere Arbeitsbedingungen, mehr Personal und mehr Lohn. Für Bornemann ist klar: "Ich bin keine Ordensschwester, die irgendeinem Glauben folgt und aus Nächstenliebe arbeitet. Ich mache das, weil das mein Beruf ist, und ich möchte, dass dieser Beruf vernünftig bezahlt wird."

In emotionaler Weihnachtsbotschaft dankt Lauterbach den Pflegekräften – und macht ein großes Versprechen

FOCUS Online/Wochit In emotionaler Weihnachtsbotschaft dankt Lauterbach den Pflegekräften – und macht ein großes Versprechen  

Quelle: Den ganzen Artikel lesen