Zika – einst globale Gefahr, heute vergessen?

Als das Zika-Virus 2015 in Brasilien wütete, gingen Bilder von Säuglingen um die Welt, die mit einem verformten, zu kleinen Kopf geboren worden waren. Der Erreger verbreitete sich rasend schnell, bis Ende 2016 waren 48 Länder in Lateinamerika und der Karibik betroffen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rief im Februar 2016 den globalen Gesundheitsnotfall aus.

Es wurden enorme Anstrengungen unternommen, um die Epidemie einzudämmen: Männer in gelben Sicherheitsanzügen versprühten Insektizidnebel, Schwangere sollten nicht in die betroffenen Gebiete reisen. Die Zeitschrift „Scientific American“ fragte gar: „Ist Zika das Ende der Menschheit?“

Plötzlich zur globalen Gefahr mutiert

Dabei war Zika kein Unbekannter. Das Virus verbreitete sich schon vor 2015, allerdings wirkte es überwiegend harmlos. Die Infizierten litten, wenn überhaupt, unter leichtem Fieber, Gelenk- und Kopfschmerzen. Auch Hautausschläge zählten zu den milden und unspezifischen Symptomen, die meist rasch wieder abklangen.

Dass Zika zur globalen Gefahr mutierte, kam überraschend. „Wer vor fünf Jahren vor dem Virus gewarnt hätte, wäre ausgelacht worden“, sagt der Mediziner und Virologe Jan Felix Drexler von der Charité.

Heute, mehr als drei Jahre nach der WHO-Warnung, ist es still geworden um Zika.

  • Waren die Reaktionen damals übertrieben?
  • Wie ist die Lage inzwischen in Brasilien?
  • Und wie geht es den betroffenen Familien und Kindern?

„Der große Ausbruch ist zwar beendet, aber das heißt nicht, dass das Virus aus Lateinamerika verschwunden ist“, sagt der Mediziner Philip Eisermann vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) in Hamburg. „Nach wie vor stecken sich Menschen dort an, allerdings deutlich weniger.“

Beispiel Brasilien: Während des Aufflammens der Epidemie 2015 wurden in dem Land 56.000 Erkrankte mit den typischen Symptomen gemeldet, 2016 waren es 274.000. Im Folgejahr 2017 sank die Zahl auf rund 32.000, 2018 auf 19.020. Ein Rückgang, der sich auch in anderen Ländern – etwa in Kolumbien oder Venezuela – zeigte.

Die Experten vom BNITM bestätigen diesen Verlauf. „Wir testen Reisende, haben aber so gut wie keine Zika-Fälle mehr“, sagt Eisermann. 2016 waren es mehrere Hundert, 2018 lediglich vier.

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„Oft bleibt Zika unbemerkt“

Da eine Infektion oft ohne Symptome verläuft, gehen Mediziner jedoch von einer großen Dunkelziffer aus. „Die Zahlen dürften auch während der Epidemie deutlich höher gewesen sein als angegeben“, sagt Eisermann. „Zika bleibt oft unbemerkt.“

Dass die Krankheitswelle in Lateinamerika abflacht, liegt wohl vor allem daran, dass viele Menschen die Infektion durchgemacht haben. In ihrem Blut haben sich Antikörper gegen das Virus gebildet, gegen eine neue Infektion sind sie immun. Sind ausreichend Menschen so gewappnet, verhindert diese sogenannte Herdenimmunität, dass sich das Virus schnell weiter verbreitet. Die Übertragungskette wird unterbrochen, der Flächenbrand erstickt.

„Wie lange die Immunität bei den Einzelnen anhält, ist allerdings unklar“, sagt Virologe Drexler, der zu dem Virus forscht und mehrmals in Brasilien vor Ort war. Bestenfalls, so die Hoffnung, ein Leben lang. Dann würde sich Zika ähnlich verhalten wie das nah verwandte Gelbfieber-Virus. Drexler befürchtet jedoch, dass es nicht ganz so einfach ist: „Allein in Brasilien gibt es zwölf verschiedene Flaviviren, zu denen auch Zika zählt. Wir wissen wenig über ihr Zusammenspiel und ob eine Infektion mit einem anderen Virus – etwa Gelbfieber – die Zika-Immunität stärkt oder abschwächt.“

Warum kam es zum Ausbruch in Brasilien?

Bekannt ist, dass das Virus aus Asien über den Pazifik nach Südamerika wanderte, so Eisermann. Dort traf es auf eine völlig ungeschützte Bevölkerung – ideale Bedingungen, um sich zu verbreiten. Passend auch: das Klima und die Überträgermücken, die dort heimisch sind.

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Unklar ist allerdings bis heute, ob sich das Virus genetisch so verändert hat, dass es sich leichter verbreitet und gefährlicher ist. Oder ob seltene Komplikationen schlicht erst dann deutlich zutage treten, wenn mehr Menschen betroffen sind.

„Das Virus greift bevorzugt Nervengewebe an und schädigt es“, sagt Eisermann. Bei Erwachsenen führt eine Infektion in seltenen Fällen zu einer entzündlichen Erkrankung der Nerven, dem sogenannten Guillain-Barré-Syndrom. Bei Ungeborenen kann Zika schwere neurologische Schäden und eine Fehlbildung des Gehirns verursachen. Die Babys haben oft einen sehr kleinen Kopf, eine sogenannte Mikrozephalie. „Diese gravierenden Probleme waren 2015 zum ersten Mal klar zu beobachten“, sagt Eisermann.

Im Video: Wie gefährlich ist das Zika-Virus?

Probleme mit den Augen, dem Gehör, der Sprache

Wie genau das Virus krank macht, erforschen Wissenschaftler noch. Einer Studie der Technischen Uni München und des Max-Planck-Instituts für Biochemie zufolge könnte das Virus Proteine der menschlichen Zelle nutzen, um das eigene Erbgut zu vervielfältigen. Sind diese Proteine aufgebraucht, können sich Stammzellen nicht zu Nervenzellen ausbilden – das Gehirn entwickelt sich nicht korrekt. „Den genauen Weg, wie eine Mikrozephalie nach einer Infektion entsteht, kennen wir aber noch nicht“, sagt Drexler.

Besser einschätzen lässt sich hingegen, wie oft eine Infektion der Mutter zu Schäden beim Kind führt. „Am Anfang schwankten die Angaben zwischen ganz wenigen bis zu 42 Prozent“, so der Virologe. Mittlerweile geht man von etwa fünf bis sieben Prozent aus – wobei das Risiko vor allem im ersten Trimester groß ist. „Die Mikrozephalie ist nur die Spitze des Eisbergs“, so Drexler.

Forscher der Universität von Kalifornien in Los Angeles untersuchten in einer aktuellen Veröffentlichung 216 Kinder, deren Mütter sich während der Schwangerschaft über einen Mückenstich mit dem Virus infiziert hatten. Ein Drittel davon war entwicklungsverzögert, hatte Probleme mit den Augen oder dem Gehör. Kognitive, motorische oder sprachliche Entwicklungsdefizite zeigten sich – auch bei Kindern, die mit einem durchschnittlichen Kopfumfang geboren worden waren. Zwei Drittel entwickelten sich unauffällig.

Neuer Ausbruch nicht unwahrscheinlich

Für die Wissenschaftler ist allerdings noch immer ein Rätsel, warum 95 Prozent aller gemeldeten Mikrozephalie-Fälle aus dem Nordosten Brasiliens stammen – während die Viren auch in anderen Gebieten ähnlich viele Menschen infizierten. „Warum bekommen nur Brasilianerinnen aus dieser Region ein fehlgebildetes Kind? Gab es dort eine Co-Infektion? Waren die Mütter anders geimpft? Wir wissen es schlicht nicht“, sagt Drexler.

Wo und wann das Zika-Virus wieder aufflammt, lässt sich nicht vorhersagen. Die WHO hat den globalen Gesundheitsnotfall bereits im November 2016 wieder aufgehoben. „Dass es wieder zu einem Ausbruch kommt, ist aber nicht unwahrscheinlich“, sagt Eisermann. „Das Virus ist nicht weg, man kann sich in Afrika, Asien oder Südamerika damit anstecken.“ 2017 kam es zu einer offenbar lange Zeit unbemerkten größeren Krankheitswelle auf Kuba, auch Peru meldet momentan Fälle.

Besser vorbereitet auf weitere Zika-Welle

„Es kann von Neuem losgehen“, sagt auch Drexler. Das Virus sei aus Südamerika wieder nach Afrika gewandert. Was Zika dort oder auch in Asien macht, ist völlig unklar, die Meldesysteme in den Gebieten funktionieren schlecht. Auch in Südamerika könnte das Virus in Regionen mit niedriger Herdenimmunität wieder aufflammen. „Die Mobilität hat zugenommen, wir schleppen Pathogene rund um den Globus“, sagt Drexler. „Ausbrüche werden wir da sehr wahrscheinlich immer öfter sehen.“

Mediziner Eisermann ist allerdings überzeugt: Besser vorbereitet ist man auf jeden Fall. Durch den Notfall in Brasilien ist viel Geld in die Zika-Forschung geflossen. Die diagnostischen Tests sind vorangeschritten, wenn auch lange noch nicht perfekt. Eine akute Infektion lässt sich im Körper leicht über das Erbgut des Virus im Blut und Urin nachweisen. Das ist allerdings nur etwa eine Woche nach Auftreten der ersten Symptome möglich. Danach ist eine Infektion über Antikörper festzustellen. Hier sind die Tests aber immer noch fehleranfällig. Impfstoffkandidaten gibt es etliche, allerdings ist noch keiner marktreif. Ähnlich ist die Situation bei Medikamenten gegen die Krankheit.

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Dennoch: Wurde Zika – einst als globale Gefahr eingestuft – in der Gefährlichkeit überschätzt? Und wurden andere, gefährlichere Viren wie etwa die Erreger des Dengue-Fiebers in der Forschung vernachlässigt? „Das mag der Fall sein, aber hier kann man auch wieder aufholen“, sagt Eisermann.

Drexler findet die Reaktion passend. „Die Lage in Südamerika war dramatisch.“ Nicht zuletzt helfe die Zika-Forschung auch, mehr über andere Viren und ihr Zusammenspiel herauszufinden. So hat der Charité-Virologe mit seinem Team festgestellt, dass eine frühere Infektion mit Dengue-Viren eher einen gewissen Schutz vor Zika-Schäden bietet und diese nicht, wie einst angenommen, noch verschärft.

Eisermann zufolge muss man auch unterscheiden: „Für Erwachsene mag Zika weiterhin ein relativ harmloses Virus sein“, sagt er. Die meisten Ansteckungen verlaufen mild. „Die Erkenntnis, dass es ungeborenen Kindern schwer schaden kann, macht es allerdings zu einem gefährlichen Erreger.“

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