Corona: Fast jeder Fünfte nach Covid

Corona-Intensivstation in einem Krankenhaus in Aachen (2020)

Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge bleibt jeder Zehnte nach einer Covid-19-Infektion noch lange Zeit krank. Die zweitgrößte deutsche Krankenkasse, die Barmer, veröffentlichte nun Daten, wonach es offenbar noch häufiger vorkommt: So waren zwischen November 2020 und März 2021 mehr als 2900 Versicherte von Long Covid betroffen, wie eine Auswertung von Versichertendaten der Kasse zeigt. Demnach waren mehr als 17 Prozent der Covid-19-Fälle länger als vier Wochen krankgeschrieben.

Als Long Covid werden die Spät- und Langzeitfolgen einer Infektion mit dem Coronavirus bezeichnet. Betroffene haben nach der Erkrankung über Wochen hinweg noch Symptome. Während einige über einen fortbestehenden Geruchsverlust oder mangelnde Fitness klagen, können andere kaum ihren Alltag bewältigen und sind durch Atemnot, Erschöpfung oder Konzentrationsstörungen stark eingeschränkt. Mediziner wissen noch nicht, wodurch Long Covid genau verursacht wird. Zudem gibt es in Deutschland kein Meldesystem für Langzeitfolgen. Wie viele insgesamt betroffen sind und welche Auswirkungen das auf das Gesundheitssystem hat, lässt sich bisher nur schätzen.

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In den nächsten Wochen deutliche Steigerung erwartet

Aufgrund der schweren dritten Coronawelle in Deutschland rechnet die Deutsche Rentenversicherung mit wachsenden Zahlen an Reha-Fällen. »Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Monaten eine deutliche Steigerung sehen werden«, sagte Susanne Weinbrenner vom Geschäftsbereich Prävention der Rentenversicherung der Nachrichtenagentur dpa zufolge. Zu den häufigsten Langzeitfolgen bei den Patientinnen und Patienten in Reha-Einrichtungen der Rentenversicherung zählen demnach Belastungsatemnot, Fatigue, eingeschränkte Belastbarkeit, muskuläre Schwäche, Angststörungen, Depression, chronische Nierenerkrankungen und Brustschmerz. Die zahlenmäßige Bedeutung von Long Covid sei derzeit aber noch schwer einzuschätzen.




Der ärztliche Direktor am Rehazentrum Seehof in Teltow und Leiter der Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation der Charité Berlin, Volker Köllner, sagte, wahrscheinlich führe Covid-19 häufiger zu länger anhaltenden Folgesymptomen als andere Infektionen. Rund jeder vierte beatmete Patient sei psychisch stark belastet.

Noch Corona oder schon Long Covid?

Ursula Marschall, Leitende Medizinerin bei der Barmer, geht davon aus, dass vielen Betroffenen wegen der uneinheitlichen Symptome nicht bewusst sei, dass sie unter Long Covid litten. Nicht immer sei leicht erkennbar, wann die akute Virusinfektion aufhöre und die Langzeitfolgen anfingen. Erst seit Januar 2021 könne Long Covid auch als Erkrankung offiziell im Abrechnungssystem der Ärzte codiert werden.

Langzeitsymptome treten der Barmer-Erhebung zufolge bei Frauen häufiger auf als bei Männern – diese Beobachtung deckt sich auch mit aktuellen Studienergebnissen. Sie seien zudem stark altersabhängig. So entwickelten Frauen ab 60 Jahren nach leichten Verläufen etwa sechsmal häufiger Long Covid als Männer unter 40 Jahren.

Long Covid kommt diesen Daten zufolge auch nach leichtem Infektionsverlauf recht häufig vor. So seien 47 Prozent der wegen Long Covid Krankgeschriebenen zuvor nicht wegen einer Covid-19-Infektion arbeitsunfähig gewesen. In diesen Fällen habe zuvor vermutlich eine asymptomatische Erkrankung vorgelegen.


Der Psychosomatik-Experte Köllner erwartet wegen der hohen Zahl an Coronainfizierten nun auch einen »relevanten Bedarf« an Rehabilitation für Long-Covid-Patientinnen und -Patienten. Betroffene mit Organschäden bräuchten eine Reha im jeweiligen somatischen Fachgebiet. Besonderes Augenmerk legte der Arzt aber auf die Betroffenen ohne wesentliche Organschäden: Angst, Depression und dysfunktionale Verhaltensmuster etwa bei der Atmung spielten hier eine besondere Rolle – und müssten entsprechend behandelt werden. Geeignet seien hier etwa bei anderen Krankheiten bereits bewährte Patientenschulungen, Bewegungstherapie und psychotherapeutische Angebote.

Die große Mehrheit der leicht betroffenen Patientinnen und Patienten erhole sich aber innerhalb von rund drei Monaten ohne gravierende Folgen. »Wir brauchen keine Angst haben, dass Long Covid die Deutschen in ein Volk von Zombies verwandelt«, sagte der Arzt.

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