Vergessen Sie Wellness und Luxus-Resorts: Arzt sagt, welcher Urlaub wirklich entspannt

Sich das Leben schwer machen, um sich besser zu fühlen? Das klingt paradox. Aber Luxus-Resorts, Wellness-Oasen, erstklassiges Essen und Nichtstun verhelfen immer weniger zu der Erholung, die moderne Menschen wirklich brauchen: der mentalen Erholung.

Bald geht es wieder los: In Deutschlands nördlicher Hemisphäre setzt sich eine Blechlawine in Bewegung, damit Menschen nach fünf Stunden im Auto am Luxusleben von Sylt teilhaben können. In Bayern sieht‘s nicht anders aus. Stoßstange an Stoßstange zieht die Karawane zu den Alpentraumkulissen. Unsere viel gepriesene Mobilität ist eben insbesondere zum Urlaubsbeginn eher ein theoretisches Konstrukt, aber kein Stau der Welt könnte den gestressten Kopfarbeiter davon abhalten, sich für einige Tage mal so richtig zu erholen: SUV in der Tiefgarage abstellen, lange Schlafen, richtig gut Essen (oder war es einfach nur viel?) und Verdauungsspaziergänge in Camp David-Jacke mit kleinen Shopping-Intervallen.

Es ist schön an diesen Orten, und man kann das mit dem Urlaub so machen. Ist mir so ähnlich vielleicht auch schon mal passiert. Aber die Mattigkeit, die viele meiner Check-up-Patienten beklagen, ist tückisch. Denn wer müde ist, ruht sich typischerweise aus. Das Problem: Nach dem Ausschlafen fühlen diese Menschen sich eben nicht erholt. Die Erschöpfung ist nämlich nur vordergründig ein körperliches Phänomen. Natürlich, wer sich nicht fit hält und nicht joggen geht, dem fällt es schwerer, die Ansprüche dieser modernen Welt zu erfüllen.

Aber mehr als das ist es die mentale Erschöpfung, die sich wie ein grauer Schleier über unsere Vitalität legt. Sie fühlt sich an, als wäre man schon 10 km gelaufen, obwohl man nur die Computermaus auf dem auf dem Schreibtisch von links nach rechts geschoben hat. Sie lässt Menschen mit bleierner Müdigkeit den Pizza-Notruf wählen, statt selbst etwas Gesundes zu kochen. Psychosomatik heißt das. Unser Körper spricht zu uns, weil die Seele leidet. Massage, ein gutes Restaurant in Südtirol und Netflix auf dem Hotelzimmer sind da ganz nett, aber sie lösen dieses Problem nicht auf.

Dori Fischl/BurdaForward

Über den Experten

Dr. Matthias Marquardt hat die „Laufbibel“ geschrieben, ist in der Laufszene als „Laufpapst“ bekannt und betreut als Sportinternist und Spezialist für Laufverletzungen Patienten aus ganz Deutschland in seiner Praxis für „Sport & Check-up“ in Hannover. Der begeisterte Triathlet duscht Sommer wie Winter im Garten und schwimmt gerne im Mittellandkanal, an dem er mit seiner fünfköpfigen Familie lebt. Der RunnigDoc schreibt auf FOCUS Online über Gesundheit, Bewegung und das Leben als Sportarzt. Hier finden Sie ihn bei Instagram und Facebook.

Denn diese unangenehme Unruhe ist nach nur zwei Seiten Zeitunglesen, das eigentlich der Entspannung dienen sollte, wieder da. Das Gedankenkarussell dreht sich selbst dann noch, wenn man im Restaurant auf das Essen wartet. Und auch wenn man es gar nicht will und niemals zugeben würde: Das Fummeln am Handy beruhigt irgendwie, während das Fummeln am Partner schon länger her ist.

Kinder verstärken das Phänomen. An freien Tagen wollen sie Erlebnisse und völlig zu Recht die Welt entdecken, während die getriebenen, erschöpften Erwachsenen nach Erholung lechzen. Auf dem Hotelzimmer oder im Ferienhaus wird dieser Zielkonflikt mit dem Fernseher gelöst. Nicht wenige Eltern würden in diesem Moment behaupten, sie handelten aus Notwehr. So manches Mal saß ich abends, nachdem die Kinder im Bett waren, mit meiner Frau auf dem Sofa des Ferienhauses und wir fragten uns, ob das wirklich Urlaub sei.

Zu Hause war’s irgendwie entspannter. In uns der Wunsch nach Erholung, aber eben auch der Wunsch nach dem richtigen Leben, nach Erlebnissen, die man nie vergisst. Aber sind Netflix, Zoo und Freizeitpark wirklich echte Erlebnisse? Notbremse Cluburlaub? Selbst wenn einem das viele Geld für diese Dinge egal sein sollte, so haben Freizeitpark und Cluburlaub doch ein Problem gemeinsam: Sie liefern einfach nicht. Sie liefern keine Erlebnisse, keine Erholung. Was also tun?

Das Standardwerk für den Laufsport – Matthias Marquardt

Bei dem Gedanken rauszugehen, einfach raus ins Abenteuer, verließ uns zunächst der Mut. Outdoor? Es könnte Regen geben. Die Kinder? Das geht doch nicht. Material? Haben wir nicht. Aber es musste etwas passieren! Wir starteten irgendwann mit Radwanderungen von Pension zu Pension. Unser Abenteuer? Den Weg zu finden kann manchmal schon reichen (und belebt eine Ehe völlig neu!), der Campingkocher für die Verpflegung, den ganzen Tag draußen sein. Solche Dinge. Ungeahnter, fantastischer Nebeneffekt: Die Stimmung ist immer gut.

Alle haben ein Ziel und kommen abends glücklich und erschöpft an. Dazwischen gibt es jede Menge Zeit ohne jeden Stress. Und dann, wenn Sie nicht damit rechnen, passieren Dinge wie diese: Ein Imker, den wir am Feldrand an seinen Bienenstöcken trafen, steckt unsere Kinder unter den Imkerhut mit Schleier, und erklärt Ihnen die sympathische Welt seiner Bienen. Die Eventagentur würde sagen: Ein Money-can’t-buy-Moment. Der Imker und ich sagen: Ich will keine geplanten Momente. Ich will das echte Leben.

War das jetzt schon ein Mikroabenteuer? Natürlich gibt’s auch für Mikroabenteuer „Regeln“:

Ok, dann war es wohl kein „offizielles“ Mikroabenteuer. Für uns aber schon!

Dann kam die Corona-Pandemie. Und mit Corona der Lagerkoller. Und mit dem Lagerkoller die große Entscheidung: Wir kaufen Zelte. Wir waren ja schon erfahren mit dem Rad und dem Campingkocher. Insgeheim fühlte ich mich sowieso ein bisschen wie die Kreuzung aus Fähnlein Fieselschweif-Pfadfinder und Rüdiger Nehberg. Wir starteten also im März 2021 unsere erste Fahrrad-Zelttour im hohen Norden an der Schlei.

Bauten im Dunkeln das erste Mal die Zelte auf, steckten im Sumpf fest, froren wie die Schneider, fanden Brennholz, machten Lagerfeuer und waren überglücklich, flickten Reifen, aßen Kartoffeln und fanden sie saulecker, sahen Schweinswale in der Morgensonne, grillten Fisch am Strand, hängten eine Zelt-Nacht im Garten eines Menschen an, der uns Hilfe anbot, weil wir die Fähre verpasst hatten, schimpften über den Regen, feierten die Sonne.

Sie wollen sich das ansehen? Dann klicken Sie hier .

Als wir nach Hause kamen, waren wir körperlich völlig zerstört. Aber der Geist war frei. Wir fühlten uns so erholt wie nie zuvor. Dieses unbestimmte, belastende Gefühl von Anspannung, Unruhe, Angst und Sorgen war weg. Diese kreisenden Gedanken auch. Es war endlich Frieden im Kopf. Es war fantastisch. Also taten wir es immer wieder. Aber die notwendige Startenergie für so ein Abenteuer ist immer wieder beachtlich, vor allem, wenn man im stressigen Alltag gefangen ist. Es ist mit den Mikroabenteuern wie mit dem Joggen: Es geht Ihnen besser, wenn Sie es gemacht haben. Sie müssen nur die Kraft finden, anzufangen.

Jetzt naht wieder Himmelfahrt. Wir werden es wieder tun. Die Weser, das Rad, das Zelt, der Campingkocher. Nur Start und Ziel sind geplant. Keine Unterkünfte. Das zwingt uns, mit den Menschen zu reden, Lösungen zu finden, Dinge zu erleben. Wir glauben, dass wir immer jemanden finden, der uns seine Wiese zur Verfügung stellt und etwas Wasser gibt. Und die Wiese sieht danach so aus wie vorher. Wie bei den Pfadfindern. Wir werden am Ende körperlich erschöpft sein. Und doch so viel Kraft geschöpft haben.

Sie wollen sich diesen Wahnsinn mit drei Kindern ansehen? Kein Problem: Bei Radreisen übernehme ich meinen Instagram-Kanal selbst: www.instagramm.com/drmarquardt Kommen Sie doch mit, und lassen sich inspirieren.

Ihr RunningDoc

  
 

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