Wenn Medikamente bei einer Epilepsie nicht helfen, entscheiden sich Ärzte mitunter für einen operativen Eingriff am Gehirn: Dabei werden bestimmte Areale entfernt, von denen die massiven Nervenzellentladungen bei den epileptischen Anfällen ausgehen. So eine Operation müssen Hirnchirurgen teilweise an wachen Patienten durchführen – eine riesige Herausforderung für die Betroffenen.
US-Wissenschaftler berichten jetzt von einem besonderen Fall, bei dem die Wach-OP aufgrund von ausgeprägten Ängsten bei der Patientin zunächst nicht möglich zu sein schien. Die 23-Jährige litt unter epileptischen Anfällen, die sich mit Medikamenten nicht kontrollieren ließen. Sie war deswegen an der Emory University School of Medicine (US-Bundesstaat Georgia) in Behandlung. Zusätzlich litt sie unter einer leichten Depression und stärkeren Angstzuständen.
Um den Ursprung der Epilepsie genauer zu lokalisieren, implantierten die Ärzte der Patientin Elektroden unterhalb des Schädelknochens auf dem Gehirn, wie sie im „Journal of Clinical Investigation“ berichten. So konnten sie mehrere Wochen lang die Aktivität ihres Gehirns beobachten und aufzeichnen.
„Das fühlt sich einfach nur gut an“
Während dieses Monitorings stimulierten die Mediziner zudem mit elektrischen Impulsen die sogenannte Gürtelwindung (Gyrus cinguli) im Gehirn der Frau. Diese gehört zum limbischen System, das für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist. Im Gehirn von depressiven Patienten findet sich in diesem Areal oft eine veränderte Aktivität.
Als die Neurochirurgen einen bestimmten Teil reizten, löste das bei der Patientin ein entspanntes, fröhliches Verhalten aus. In einem Video ist zu sehen, dass die Frau nicht in der Lage ist, ein finsteres Gesicht zu machen oder ernst zu schauen – selbst, als die Mediziner sie dazu auffordern, sich an eine traurige Situation zu erinnern. Sie erklärt lachend: „Das fühlt sich einfach nur gut an.“
Der beobachtete Effekt brachte die Mediziner auf eine Idee: Sie nutzten die positive Auswirkung der Nervenstimulation, um die Patientin bei einer zwei Tage später durchgeführten Operation zu beruhigen.
Bei so einem Eingriff bekommen die Patienten zunächst eine Narkose, so dass sie vom Öffnen des Schädels nichts mitbekommen. Dann werden sie aber aus der Narkose geweckt. Oft ist das ein heikler Moment, weil die Patienten Angst bekommen. „Sogar gut vorbereitete Patienten können während einer Wachoperation in Panik geraten, was gefährlich werden kann“, sagte Neurochirurgin Kelly Bijanki, Hauptautorin der Studie, laut einer Mitteilung.
Keine Depression, kaum noch Angst
Auch die 23-jährige Epilepsie-Patientin wurde unruhig und geriet nach dem Erwachen zunächst in Panik: „Als wir ihre Cingulum-Stimulation anstellten, berichtete sie aber sofort, dass sie sich glücklich und entspannt fühlte“, so Bijanki. „Sie erzählte Witze über ihre Familie und konnte die Wachprozedur erfolgreich tolerieren.“
Während des Eingriffs wurde die Stimulation allerdings unbeabsichtigt unterbrochen: Die Patientin wurde daraufhin nervös und ängstlich und war den Tränen nahe. Nachdem die Ärzte die Stimulation wieder angestellt hatten, ebbten ihre Angstgefühle schnell wieder ab, kurz darauf kehrte auch ihre Fröhlichkeit zurück.
Die Ärzte konnten die Operation ohne weitere Komplikationen durchführen und bestimmte Nervenzellgebiete entfernen. Am Ende entnahmen sie auch die Elektroden wieder. Sechs und zwölf Monate nach dem Eingriff ging es der Patientin gut, sie war nicht mehr depressiv und auch ihre Angstsymptome hatten deutlich abgenommen.
Rechtfertigt Aufwand den Nutzen?
Nach dem erfolgreichen Versuch bei der 23-Jährigen wiederholten die Ärzte das Vorgehen bei zwei weiteren Patienten, einem 40-jährigen Mann und einer 28-jährigen Frau. In beiden Fällen löste die Stimulation ähnliche Effekte aus wie bei der ersten Patientin.
Für Walter Stummer, Direktor der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Münster und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC), sind die Befunde zwar interessant. „Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob der Aufwand den Nutzen rechtfertigt.“ Denn vor dem eigentlichen Eingriff sei noch eine weitere Operation nötig, um die Elektrode zu platzieren. „Insgesamt sind die Risiken eines derartigen Eingriffs gering“, so Stummer, der nicht an der Studie beteiligt war. „Es erfordert aber Spezialkenntnisse und ein großes, interdisziplinäres Team aus Neurochirurgie, Neurologie und Neurophysiologie.“
Mit weniger Aufwand wäre die Stimulation der Gürtelwindung aus seiner Sicht tatsächlich eine hilfreiche zusätzliche Maßnahme. Zum einen könnte man dadurch besonders ängstliche Patienten beruhigen. Zum anderen würden die teils sehr langen Wachoperationen, bei denen die Patienten kontinuierlich Aufgaben lösen müssen, vermutlich für diese erträglicher. Stummer meint aber: „Angesichts der ausgefeilten Methoden, die wir schon haben, bin ich skeptisch, ob sich das durchsetzen wird.“
Anmerkung: In einer vorherigen Version dieses Artikels haben wir die Emory University School of Medicine im Bundesstaat Atlanta verortet. Atlanta ist die Hauptstadt des US-Bundesstaates Georgia, in dem sich die Universität befindet. Wir haben den Fehler korrigiert.
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