"Selfie-Dysmorphie": Wenn Menschen aussehen wollen wie ihr Filter-Ich

Für ihre Freunde war Anika nur die Snapchat-Queen. 4000 Menschen folgten dem Account der jungen Londonerin auf dem Instant-Messaging-Dienst, bei dem es in erster Linie darum geht, Fotos zu versenden. Anika freute sich über ihren Ruhm, knipste täglich bis zu 25 Selfies und bearbeitete sie mit den vorinstallierten Filtern. Wahlweise verpasste sie sich Hundeohren oder eine Blumenkrone. Und freute sich über einen Nebeneffekt: Die Spaß-Filter ließen den Höcker auf ihrer Nase verschwinden. Über den ärgerte sie sich schon seit langem.

Doch dann begannen die Probleme. Manchmal schlugen ihre Follower vor, sich persönlich zu treffen. Anika war verunsichert. „Ich dachte mir immer, ich müsse wie mein Selfie aussehen“, berichtet sie im „Guardian“. In der Öffentlichkeit setzte sich die junge Frau immer so hin, dass ihre Nase nicht von der Seite zu sehen war. Und sie begann zu recherchieren. Nach Schönheits-Chrirurgen, die bereit waren, den kleinen Höcker auf ihrer Nase zu entfernen. Zu dieser Zeit war sie gerade einmal 20 Jahre alt.

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Anikas Geschichte steht stellvertretend für ein neuartiges Phänomen: Früher brachten Patienten Fotos von Stars mit in die Klinik, wollten deren Nase oder Kinn. Heute sind es vielmehr Fotos von ihnen selbst – bearbeitet mit Snapchat-Filtern oder der Bildbearbeitungs-App Facetune, berichtet der britische Schönheits-Chirurg Tijion Esho. Er prägte auch den umgangssprachlichen Begriff der „Snapchat Dysmorphie“. Worum handelt es sich dabei genau?

Der Begriff leitet sich von einer Dysmorphobie ab. Betroffene Personen nehmen sich dabei als hässlich oder entstellt wahr. Es handelt sich um eine psychische Erkrankung, bei der die Gedanken zu Beginn oft nur um eine Körperregion kreisen, zum Beispiel Haut, Haare oder Nase. Betroffene beschäftigen sich oft stundenlang mit vermeintlichen Makeln, die objektiv nicht als solche zu erkennen sind. Weil eine körperdysmorphe Störung von Depressionen begleitet werden kann, sollte sie behandelt werden. Therapie der Wahl ist zunächst eine Verhaltenstherapie. 

Unklar ist, ob Selfies und Snapchat-Filter eine Dysmorphobie auslösen können. Eine Untersuchung im US-Fachblatt „JAMA Facial Plastic Surgery“ deutet in diese Richtung. Bewiesen ist das aber noch nicht. So könnte es sein, dass die Filter zwar Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper auslösen – letztlich aber keine Erkrankung. Im Zweifel sollten die Symptome unbedingt mit einem Arzt besprochen werden. Das gilt vor allem dann, wenn Patienten unter ihren vermeintlichen Schönheitsmakeln leiden, sich zurückziehen und in ihrem Alltag einschränken.

„Einzelfälle aus der Generation Selfie“

Auf Nachfrage bestätigt die „Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie“, dass es auch hierzulande Patienten gibt, die aufgrund von Filtern unzufrieden mit ihrem Äußeren sind. „Unsere Ärzte haben tatsächlich immer häufiger Interessenten, die aufgrund von Instagram-Bildern ihr Äußeres dem für sie vermeintlichen Idealbild anpassen wollen oder aber einen vermeintlichen Makel auf Fotos oder Selfies bei sich festgestellt haben“, bestätigt eine Sprecherin gegenüber dem stern. Allerdings handele es sich dabei eher um „Einzelfälle aus der Generation Selfie“. 

Bei den Wünschen von Patienten stehe eine umfassende Beratung im Vordergrund, erklärt die Sprecherin weiter. Dabei soll unter anderem die Frage geklärt werden, ob der Eingriff tatsächlich notwendig sei. „Bei unrealistischen Vorstellungen werden Behandlungen auch abgelehnt.“

Auch Anika ließ sich bei einem Schönheitschirurgen in Großbritannien beraten. Sie zeigte dem Arzt eines ihrer Videos mit Snapchat-Filter. Besonders gut gefiel sie sich mit einem Filter, der ihr Gesicht alienhaft wirken ließ. „Ich dachte mir: ‚Das sieht toll aus, meine Nase wirkt so viel kleiner‘.“ Der Arzt erzählte ihr, dass er ihre Nase dafür operieren müsse und bat Anika, einen neuen Gesprächstermin zusammen mit ihrer Mutter zu vereinbaren. 

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Anika nahm sich daraufhin ein Jahr Zeit, ihre OP-Pläne zu überdenken. Sie entschied sich schließlich für einen kleineren Eingriff und ließ sich die Nase mit Hyaluronsäure aufspritzen. Dadurch wirkt der Nasenrücken im Profil gerader, wenn auch nur vorübergehend. Nach rund einem Jahr ist die Hyaluronsäure abgebaut – Anika will den Eingriff dann wiederholen lassen. „Ich glaube, ich brauchte das einfach um mich innerlich zu verändern. Damit ich damit aufhören konnte, nach Perfektion zu suchen“, sagt sie rückblickend.

Ihr Snapchat-Profil hat sie mittlerweile gelöscht.

Quellen:

The Guardian / Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) / Ärzteblatt 

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