Sechs Finger Mutation bietet deutliche Vorteile und wird über ein eigenes Hirnareal gesteuert

Polydaktylie: Mutation bildet sechs Finger an einer Hand aus

Wenn Menschen von Geburt an mehr als fünf Finger oder Zehen an Händen oder Füßen besitzen, wird dies als Polydaktylie bezeichnet. Ist diese Mutation ein Vorteil oder ein Nachteil für die Betroffenen? Dies ist das zentrale Thema einer aktuellen Studie. Die Forschenden zeigen erstaunliches: Menschen mit sechs Fingern sind in der Lage, Bewegungen mit nur einer Hand auszuführen, für die andere Menschen beide Hände benötigen.

In einer aktuellen Studie untersuchte ein Forschungsteam der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, welche Bewegungsfertigkeiten Menschen mit Polydaktylie besitzen und wie sich der zusätzliche Finger auf das Gehirn auswirkt. Die Forschenden konnten erstmals zeigen, dass sich Areale in den Gehirnen der Betroffenen auf die motorische Steuerung des sechsten Fingers spezialisiert haben. Hierdurch eröffnen sich laut der Studie wesentlich komplexere Bewegungsabläufe als bei der klassischen Fünf-Finger-Hand. Die Ergebnisse wurden kürzlich in dem renommierten Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlicht.

Sechs Finger sind besser als fünf

Erstmals wurde in einer Fallstudie die seltene Polydaktylie-Mutation untersucht. Dazu ließen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Teilnehmenden, allesamt mit sechs Fingern an einer Hand, mehrere Verhaltensexperimente ausführen und beobachteten mithilfe funktionaler Magnetresonanztomographie (fMRT) deren Gehirnaktivität. „Wir wollten herausfinden, ob die motorischen Fähigkeiten dieser Personen über diejenigen von Menschen mit fünf Fingern hinausgehen und wie das Gehirn in der Lage ist, diese zusätzlichen Freiheitsgrade zu kontrollieren“, erläutert Professor Dr. Carsten Mehring das Ziel der Studie.

Eigene Muskeln, eigene Nerven und eigene Hirnregionen

Dabei entdeckten die Forschenden Erstaunliches: Der zusätzliche Finger wird von eigenen Muskeln und Nerven bewegt. Dadurch könne der Finger völlig unabhängig von den anderen Fingern agieren. „Unsere Probanden können ihre zusätzlichen Finger frei einsetzen, ähnlich wie einen weiteren Daumen – und das allein oder zusammen mit den anderen fünf Fingern“, betont Professor Mehring. Dadurch lasse sich die Hand außergewöhnlich vielseitig und geschickt einsetzen. Die Teilnehmenden mit Polydaktylie konnten viele Bewegungsaufgaben der Studie mit nur einer Hand ausführen, für die andere Menschen beide Hände benötigten.

Gehirn kann den erhöhten Freiheitsgrad kontrollieren

Überraschend war auch, wie das Gehirn mit der zusätzlichen Bewegungsfreiheit umgeht. „Obwohl das Gehirn diesen höheren Freiheitsgrad kontrollieren muss, haben wir keine Nachteile festgestellt im Vergleich zu Menschen mit fünf Fingern“, erläutert Professor Dr. Etienne Burdet in einer Pressemitteilung zu den Studienergebnissen. Das Gehirn habe genug Kapazität für die Steuerung des sechsten Fingers frei, ohne dafür an anderer Stelle etwas einbüßen zu müssen.

Was passiert in den Gehirnen von Menschen mit Polydaktylie?

Hochauflösende funktionale Magnetresonanztomographie eröffnete den Forschenden bislang unbekannte Einblicke in die Gehirne von Menschen mit Polydaktylie. „Wir konnten dezidierte neuronale Aktivitäten finden, die den sechsten Finger kontrollieren, und der somatosensorische und motorische Kortex sind genau so organisiert, dass sie die beobachteten zusätzlichen motorischen Fähigkeiten ermöglichen“, erklärt Dr. Andrea Serino die Gehirnaktivitäten.

Ergebnisse könnten zur Entwicklung künstlicher Gliedmaße beitragen

Den Forschenden zufolge könnten diese Ergebnisse zur Entwicklung von zusätzlichen künstlichen Gliedmaßen zur Erweiterung der menschlichen Bewegungsfähigkeiten beitragen. Dies eröffne völlig neue Möglichkeiten. So könnten Chirurginnen und Chirurgen beispielsweise Operationen ohne Assistenz ausführen. Solche Forschungsgebiete stecken jedoch noch in den Kinderschuhen. „Dennoch eröffnen Menschen mit Polydaktylie eine einzigartige Chance, die neuronale Kontrolle zusätzlicher Gliedmaßen und die Möglichkeiten sensomotorischer Fertigkeiten zu analysieren“, resümiert das Forschungsteam. (vb)

Lesen Sie auch:

Genetische Mutation führt bei älterer Patientin zu extrem schneller Wundheilung – Sie hat weder Schmerzen noch Angst.

Quelle: Den ganzen Artikel lesen